Menschlichkeit in Zeiten der Cholera
Ein Dokument des allseitigen Versagens, des herrschenden Zynismus und bunzdummer Presse:
Was melden wir denn hier? Dass einer "so einige Ideen" hat? Dass einer gerade noch mit
eigentlich Verantwortung übernommen hat - für die größte Bratze, die bildungspoltiisch jemals in einer Legislaturperiode in Niedersachsen veranstaltet wurde. Hat man das nicht alles vorher wissen können? Was soll die Rede von Lehrplänen, eines angesichts der KMK-Bildungsstandards und der selbst zu verantwortenden, mit heißer Nadel hingelegten und in jeder Hinsicht unzulänglichen CuVo obsoleten Begriffs (der andererseits die Praxis dessen, was man in den Schulen angerichtet hat, gut beschreibt)? Was soll der anbiedernede, gleichzeitig erbarmungslos deutlich das eigene Unwissen offenbarende Hinweis auf "neue Lernformen", - eine Sau, die bereits jeder durch das Dorf geritten hat ...?
Noch unerträglicher ist der Kommentar eines Herrn Kallmeyer, der das alles hochschreibt. Man müsste ihm das Archiv der HAZ um die Ohren hauen, in dem zu lesen ist, wie er das abfeierte, was er heute als vom gleichen Personal schwer bedenkenswert empfunden wiederum feiert - nur andersrum. Eine Wortkotze ohnegleichen ...:
Der dilettantische Start in das achtjährige Gymnasium sollte eine Lehre sein: Bildung hat zwar viel mit Zahlen zu tun, Erfolg in der Bildung lässt sich aber nicht mit mathematischen Gleichungen erzielen. Erschreckender als die Klage, dass die Kinder im Unterricht überfordert werden, ist die Frage von Eltern, wo zwischen Deutsch, Englisch, Physik und Förderstunden denn die Kindheit bleibe. Kinder müssen jenseits von Klassenzimmern Erfahrungen sammeln können – beim Sport, in Cliquen oder eben auch beim „Rumhängen“ mit Altersgenossen.
Rumhängen mit Altersgenossen kann leicht zu schweren Verletzungen bei Angehörigen des Prekariats führen: aber "voll schwul" ist ja bei Bertelsmann als Stigmatisierung von Losern inzwischen akzeptabel:
Schon egal!! Finden wir "dufte"!
Interessante Anmerkungen zum sozialen Hintergrund der neuen Kampagne zum Diebstahl der Kindheit a. B. Hessen von Frank Hoffmann: Bildung als Hausaufgabe:
Auszug:
... Seit in den zum Abitur führenden Schulen in Hessen flächendeckend die Matura nach 12 und nicht mehr nach 13 Schuljahren abgelegt werden muss, sind Kinder wie Eltern überfordert und verzweifelt. Die zunächst von gar nicht so wenigen Eltern begrüßte verkürzte Schulzeit sorgt in allen Bundesländern, in denen sie eingeführt wurde (so etwa im Bayerischen), für erhebliche Verwerfungen. Wegen jener gerade von Konservativen gepflegten deutschen Ideologie, die Familie sei der Hort der Persönlichkeitsentwicklung, wird die Freizeit der Jugendlichen privat im Familienkreis und in den Vereinen organisiert. Das geht von der Ballettschule bis zu den Roten Falken, vom Sportverein bis zu den Pfadfindern, von den Reitstunden bis zum Konfirmandenunterricht, von der Jugendmusikschule bis zu abendlichem Sprayen von Graffitis. Die oftmals persönlichkeitsprägenden außerschulischen Aktivitäten, die in zivilisierten Ländern wie etwa England oder Frankreich zu einem großen Teil von den Schulen, die dort Ganztagsschulen sind, abgedeckt werden, entfallen nun zugunsten eines beschleunigten Lernens von praxisorientiertem und beruflich verwertbarem Wissen.
In Hessen ist dieses Projekt dermaßen schlampig und überstürzt umgesetzt worden, dass die Wut in der Mitte der Gesellschaft angelangt ist. Eltern, die für ihre Kinder einen ähnlichen Schulabschluss wie den ihren erwartet hatten, müssen plötzlich die Abende mit dem Pauken der in der Schule nur vorgestellten Lernstoffe verbringen. Bei weitem nicht in jeder weiterführenden Schule wird ein finanzierbares Essen angeboten, das diesen Namen verdiente, teure Klaviere bleiben unbespielt, das Ballettröckchen hängt nur noch im Schrank. Kurz: Das Handtuch brennt im hessischen Reihenhäuschen.
Die Verantwortung, Lernziele auch zu erreichen, bleibt bei den Familien. Ganz im Sinne der oben erwähnten deutschen Ideologie. Es sind nicht die Schulen, die dafür zu sorgen haben, dass das von ihnen geforderte Programm auch erfüllt wird, sondern die Eltern und Familien. Und da Familien in den hessischen Großstädten inzwischen eine eher verschwindende Minderheit sind, liegt diese neue Verantwortung für einen höheren Bildungsabschluss vor allem bei der allein erziehenden Frau. Dass sie das verstanden haben, ließen vor allem die weiblichen Wähler die Kultusministerin wissen.
Die Niedersächsin braucht da etwas länger, so kann sich hier der Ministerpräsident selbst an die Spitze der Bewegung stellen, bevor ihm die Klientel der bildungsnahen Modernisierungsgewinner wegläuft, weil sie merkt, dass für eigenen Kinder nicht mehr viel drin ist. Wann merken die, dass nur die wenigsten derer, die jetzt zum Abitur getreten werden, nach dem Bachelor nicht auch noch den Master machen dürfen ... Auch dazu: Frank Hoffmann im Freitag!
gebattmer - 2008/02/05 21:55
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