Alter Mann im Reading Room
Die FAZ hat einen eingerichtet für Martin Walser, genauer für seinen neuen Roman, den sie auch vorab oder nur druckt. Was insofern erstaunt, als vor nicht allzu langer Zeit (2002) Schirrmacher Walser einen Brief schrieb, den er auch gleich veröffentlichte, in dem er ihm erklärte, warum die FAZ seinen Roman "Tod eines Kritikers" nicht abdrucken wolle: der sei antisemitisch! (Perlentaucher hat die Auseinandersetzung um den Roman dokumentiert.) Am treffendsten in dieser Debatte wohl Klaus Theweleit (über die Geschäftemacherei mit dem Antisemitismus), der den Vorgang einen "primitiven Rattenkrieg" nennt. Theweleit hält "sowohl Walser als auch Reich-Ranicki, seit dreißig Jahren schon, für absolut amoralische Typen: für Maulhelden, die jede Gelegenheit beim Schwanz packen, sich selbst ins Öffentliche zu schieben, egal womit". Wäre der Roman "Tod eines Kritikers" von einem unbekannten Autor, wäre er ignoriert worden. Für ihn sei Walser auch kein Nationalkonservativer, denn er habe keine Ideologie, "außer jener, im Mittelpunkt stehen zu müssen." Walser, Ranicki, Schirrmacher verfolgten vor allem Eigeninteressen: "Das sind Markt-Machos, die sich auf ekelhafteste Weise ihre Taschen füllen." Theweleit sieht Missbrauch von allen Seiten. Auch was die aktuellen Debatten um Israel betreffe: Deutsche hätten dazu die "Klappe" zu halten. "Alles andere ist unanständig."
Unanständig ist dann auch der FAZ-ReadingRoom, denn man geht doch wohl nicht in den Room mit dem, den man neulich einen Antisemiten nennen musste. Es sei denn, man hätte nicht gemusst. Oder es war halt nicht so schlimm.
- Mit Theweleits Analyse kommt man weiter; sie kann aber auch nicht erklären, warum einer, der in seinen Romanen bis Anfang der 80er Jahre die Kleinbürger der alten BRD so gnadenlos sezieren konnte (Anselm Kristlein!), mit der Entdeckung seines Leidens an der deutschen Teilung (Dorle und Wolf) abzudrehen begann. Es sei denn, man nehme an, Walser habe immer nur verkaufen wollen. Dazu aber war er zu gut, und manchmal ist er es auch jetzt noch - und daher hier der Hinweis, dass im erwähnten Room auf Walsers Lesungen aus seinem neuen Roman "Ein liebender Mann" (auf NDR Kultur) verlinkt wird: Von Zeit zu Zeit hör ich den Alten gern ... (auch wenn ich nicht den ganzen Roman lesen wollte: alter Mann und junge Frau, das nervt: vgl. auch Roths Zuckerman)
Gehen Sie. Jede Sekunde Ihrer Gegenwart ist … eine … Revolution. Ich habe Angst.
Sie sah ihn an, sagte nichts.
Jetzt sind Ihre Augen grün, sagte er. Rein grün.
Ich finde Angst nicht schlimm, sagte sie in einem lauten, harmlosen, nichtsnutzigen Umgangston.
Und er: Es wäre schön, einen Menschen zu haben, der genau die Angst empfindet, die man selber hat. Das wäre Nähe. Das wäre die Nähe selbst.
Oh, sagte sie, das ist wieder so ein Satz von Ihnen. Einen Menschen haben, der genau die Angst empfindet, die man selbst hat. Exzellenz, darf ich sagen, was ich denke?
Wer mir nicht sagt, was er denkt, beleidigt mich, sagte er. Schon wieder so ein Satz. Von Ihnen. Ihre Sätze wirken auf mich immer so endgültig. Kein Nachdenken mehr möglich oder nötig. Es ist, wie es ist beziehungsweise wie Sie es gesagt haben. Ich finde den Physik- und Chemieunterricht immer am spannendsten, weil da etwas passiert. Es kommt etwas heraus. Durch eine Versuchsanordnung. Wenn wir, natürlich nur Sie und ich, mit Ihren Sätzen oder überhaupt mit Sätzen, die diesen Geltungston haben, experimentieren würden, wäre das unerlaubt oder interessant?
Und er: Je unerlaubter, um so interessanter.
Schon wieder so eine Satzhoheit, sagte Ulrike, lachte aber ganz fröhlich. Also, sagte sie dann, bevor Sie weitere Erlasse erlassen, vielleicht waren Sie zu lange Staatsminister, komme ich jetzt und sage: Alle diese Sätze sind, wenn man sie umdreht, genau so wahr.
Goethe konnte nicht weniger fröhlich sagen, dass Ulrikes Satz an Gesetzhaftigkeitsdrang seine Sätze bei weitem übertreffe.
Aber, sagte Ulrike, ich trete sofort den Beweis an, dass das Gegenteil genau so wahr klingt. Ich sage nicht, ist, sondern klingt.
Ich bitte darum, sagte er.
Sie: Es wäre schön, einen Menschen zu haben, der genau die Angst nicht hat, unter der man selber leidet.
Er: Weiter!
Sie: Wer mir sagt, was er denkt, beleidigt mich. Bitte, Exzellenz, nicht jetzt prüfen, ob das mit Ihrer Erfahrung sich decke, nur, ob es genau so wahr klinge wie das Gegenteil.
Ulrike, sagte er, Sie werden mir auf die erwünschteste Weise gefährlich. Bitte, drehen Sie diesen Satz nicht um. Für heute reicht es.
Grollen Sie jetzt, Exzellenz?
Unanständig ist dann auch der FAZ-ReadingRoom, denn man geht doch wohl nicht in den Room mit dem, den man neulich einen Antisemiten nennen musste. Es sei denn, man hätte nicht gemusst. Oder es war halt nicht so schlimm.
- Mit Theweleits Analyse kommt man weiter; sie kann aber auch nicht erklären, warum einer, der in seinen Romanen bis Anfang der 80er Jahre die Kleinbürger der alten BRD so gnadenlos sezieren konnte (Anselm Kristlein!), mit der Entdeckung seines Leidens an der deutschen Teilung (Dorle und Wolf) abzudrehen begann. Es sei denn, man nehme an, Walser habe immer nur verkaufen wollen. Dazu aber war er zu gut, und manchmal ist er es auch jetzt noch - und daher hier der Hinweis, dass im erwähnten Room auf Walsers Lesungen aus seinem neuen Roman "Ein liebender Mann" (auf NDR Kultur) verlinkt wird: Von Zeit zu Zeit hör ich den Alten gern ... (auch wenn ich nicht den ganzen Roman lesen wollte: alter Mann und junge Frau, das nervt: vgl. auch Roths Zuckerman)
Gehen Sie. Jede Sekunde Ihrer Gegenwart ist … eine … Revolution. Ich habe Angst.
Sie sah ihn an, sagte nichts.
Jetzt sind Ihre Augen grün, sagte er. Rein grün.
Ich finde Angst nicht schlimm, sagte sie in einem lauten, harmlosen, nichtsnutzigen Umgangston.
Und er: Es wäre schön, einen Menschen zu haben, der genau die Angst empfindet, die man selber hat. Das wäre Nähe. Das wäre die Nähe selbst.
Oh, sagte sie, das ist wieder so ein Satz von Ihnen. Einen Menschen haben, der genau die Angst empfindet, die man selbst hat. Exzellenz, darf ich sagen, was ich denke?
Wer mir nicht sagt, was er denkt, beleidigt mich, sagte er. Schon wieder so ein Satz. Von Ihnen. Ihre Sätze wirken auf mich immer so endgültig. Kein Nachdenken mehr möglich oder nötig. Es ist, wie es ist beziehungsweise wie Sie es gesagt haben. Ich finde den Physik- und Chemieunterricht immer am spannendsten, weil da etwas passiert. Es kommt etwas heraus. Durch eine Versuchsanordnung. Wenn wir, natürlich nur Sie und ich, mit Ihren Sätzen oder überhaupt mit Sätzen, die diesen Geltungston haben, experimentieren würden, wäre das unerlaubt oder interessant?
Und er: Je unerlaubter, um so interessanter.
Schon wieder so eine Satzhoheit, sagte Ulrike, lachte aber ganz fröhlich. Also, sagte sie dann, bevor Sie weitere Erlasse erlassen, vielleicht waren Sie zu lange Staatsminister, komme ich jetzt und sage: Alle diese Sätze sind, wenn man sie umdreht, genau so wahr.
Goethe konnte nicht weniger fröhlich sagen, dass Ulrikes Satz an Gesetzhaftigkeitsdrang seine Sätze bei weitem übertreffe.
Aber, sagte Ulrike, ich trete sofort den Beweis an, dass das Gegenteil genau so wahr klingt. Ich sage nicht, ist, sondern klingt.
Ich bitte darum, sagte er.
Sie: Es wäre schön, einen Menschen zu haben, der genau die Angst nicht hat, unter der man selber leidet.
Er: Weiter!
Sie: Wer mir sagt, was er denkt, beleidigt mich. Bitte, Exzellenz, nicht jetzt prüfen, ob das mit Ihrer Erfahrung sich decke, nur, ob es genau so wahr klinge wie das Gegenteil.
Ulrike, sagte er, Sie werden mir auf die erwünschteste Weise gefährlich. Bitte, drehen Sie diesen Satz nicht um. Für heute reicht es.
Grollen Sie jetzt, Exzellenz?
gebattmer - 2008/03/05 18:53
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