Zuweilen VII - Zum Tod von Erwin Geschonneck
bemerkt man erst, wenn man vom Tod eines Menschen erfährt, dass er einem eigentlich schon länger gefehlt hat. Mir wird dieses Gesicht immer in Erinnerung bleiben: Erwin Geschonneck in Frank Beyers Verfilmung von Jurek Beckers einzigartigem Roman Jakob der Lügner:
Ausnahmsweise sei hier der Nachruf der HAZ zitiert, weil nicht wie üblich bei seinem Ableben auf einen Kommunisten gepisst werden musste:
Er hat mit vielen zusammengearbeitet, die im 20. Jahrhundert Film- und Theatergeschichte geschrieben haben: vor dem Krieg mit Erwin Piscator an der Jungen Volksbühne, nach dem Krieg mit Ida Ehre an den Hamburger Kammerspielen und mit Bertolt Brecht am Berliner Ensemble. Da hatte ihn auch schon der Regisseur Helmut Käutner fürs Kino entdeckt.
Erwin Geschonneck hat selbst Film- und Theatergeschichte geschrieben. Der Sohn eines Flickschusters und Nachtwächters war der vielleicht bekannteste Schauspieler in der DDR. In weit mehr als 100 Film- und Fernsehfilmen hat er mitgespielt. „Das kalte Herz“ (1950), „Fünf Patronenhülsen“ (1960), „Nackt unter Wölfen“ (1962), „Karbid und Sauerampfer“ (1963) zählen zu den bekanntesten. Gestern ist Erwin Geschonneck im Alter von 101 Jahren gestorben.
Was hätte der am 27. Dezember 1906 in Ostpreußen geborene Schauspieler für eine Weltkarriere machen können: Er spielte mit in dem Gettodrama „Jakob der Lügner“ (1974). Frank Beyers Film war der einzige aus der Defa-Produktion, der je für den Oscar nominiert wurde. Doch blieb der Kommunist Geschonneck seinem Staat treu, ohne sich je mit ihm gemein zu machen. Die Akademie der Künste würdigte ihn gestern als einen „aufrechten, unbeugsamen Zeitgenossen“. Wurde Geschonneck gefragt, warum er nie versucht habe, seiner Berliner Plattenbauwohnung und dem ganzen eingemauerten Land zu entkommen, antwortete er: „Mir genügte es auch, ein guter Schauspieler zu sein.“
Kraftvollen, knorrigen, oft mit viel Selbstironie ausgestatteten Figuren hauchte er Leben ein. Nicht immer konnte er mit seinen Rollen hohe Sympathiewerte erzielen: In „Das Beil von Wandsbek“ (1951) war er der unauffällige Familienvater, der den Nazis als Henker diente. In „Sonnensucher“ (1958) spielt er einen aufrechten Kommunisten, der sich gegen verbohrte Funktionäre zur Wehr setzte – beide Filme waren in der DDR zunächst verboten. In „Karbid und Sauerampfer“ schlug er sich als „Karbid-Kalle“ nach Schwejkscher Art durch die Zone, um sieben Fässer Karbid zu ergattern. In „Nackt unter Wölfen“ (1963) gehört er zu den Häftlingen im KZ-Buchenwald, die sich der SS entgegenstellen.
Seinen letzten Film „Matulla und Busch“ drehte er 1995 unter der Regie seines Sohnes Matti Geschonneck. Für Heiner Müller und dessen Projekt „Duell Traktor Fatzer“ kehrte er in den neunziger Jahren noch einmal ans Berliner Ensemble zurück.
Es war wohl kein Zufall, dass in Geschonnecks Filmen immer wieder der Kampf gegen den Faschismus auftaucht: Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ging er ins Exil, bis nach Odessa in die Sowjetunion verschlug es ihn. Er wurde ausgewiesen und 1939 in Prag verhaftet, überlebte die Todeslager Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zählte er zu den 4000 KZ-Häftlingen auf dem Schiff Cap Arcona, das von der Royal Airforce versenkt wurde. 350 KZ-Häftlinge kamen damals mit dem Leben davon. Einer davon war Geschonneck.
Seine letzte Ruhe wird er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof finden, dem traditionsreichen Künstlerfriedhof in Berlin. Seine Grabstätte liegt gleich neben der von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Das ist ein würdiger Platz für den Volksschauspieler Erwin Geschonneck.
Ausgabe: HAZ Datum: 13.03.2008
Sehenswert: Jakob der Lügner (DEFA/Frank Beyer 1974)
Unbedingt hörenswert:
„Widerstand und Anpassung – Überlebensstrategie“
Erinnerungen eines Mannes an das Lager Dachau
Originaltonfeature von Thomas Heise
Rundfunk der DDR, 1987 verboten
Ursendung: 1989
Ausnahmsweise sei hier der Nachruf der HAZ zitiert, weil nicht wie üblich bei seinem Ableben auf einen Kommunisten gepisst werden musste:
Er hat mit vielen zusammengearbeitet, die im 20. Jahrhundert Film- und Theatergeschichte geschrieben haben: vor dem Krieg mit Erwin Piscator an der Jungen Volksbühne, nach dem Krieg mit Ida Ehre an den Hamburger Kammerspielen und mit Bertolt Brecht am Berliner Ensemble. Da hatte ihn auch schon der Regisseur Helmut Käutner fürs Kino entdeckt.
Erwin Geschonneck hat selbst Film- und Theatergeschichte geschrieben. Der Sohn eines Flickschusters und Nachtwächters war der vielleicht bekannteste Schauspieler in der DDR. In weit mehr als 100 Film- und Fernsehfilmen hat er mitgespielt. „Das kalte Herz“ (1950), „Fünf Patronenhülsen“ (1960), „Nackt unter Wölfen“ (1962), „Karbid und Sauerampfer“ (1963) zählen zu den bekanntesten. Gestern ist Erwin Geschonneck im Alter von 101 Jahren gestorben.
Was hätte der am 27. Dezember 1906 in Ostpreußen geborene Schauspieler für eine Weltkarriere machen können: Er spielte mit in dem Gettodrama „Jakob der Lügner“ (1974). Frank Beyers Film war der einzige aus der Defa-Produktion, der je für den Oscar nominiert wurde. Doch blieb der Kommunist Geschonneck seinem Staat treu, ohne sich je mit ihm gemein zu machen. Die Akademie der Künste würdigte ihn gestern als einen „aufrechten, unbeugsamen Zeitgenossen“. Wurde Geschonneck gefragt, warum er nie versucht habe, seiner Berliner Plattenbauwohnung und dem ganzen eingemauerten Land zu entkommen, antwortete er: „Mir genügte es auch, ein guter Schauspieler zu sein.“
Kraftvollen, knorrigen, oft mit viel Selbstironie ausgestatteten Figuren hauchte er Leben ein. Nicht immer konnte er mit seinen Rollen hohe Sympathiewerte erzielen: In „Das Beil von Wandsbek“ (1951) war er der unauffällige Familienvater, der den Nazis als Henker diente. In „Sonnensucher“ (1958) spielt er einen aufrechten Kommunisten, der sich gegen verbohrte Funktionäre zur Wehr setzte – beide Filme waren in der DDR zunächst verboten. In „Karbid und Sauerampfer“ schlug er sich als „Karbid-Kalle“ nach Schwejkscher Art durch die Zone, um sieben Fässer Karbid zu ergattern. In „Nackt unter Wölfen“ (1963) gehört er zu den Häftlingen im KZ-Buchenwald, die sich der SS entgegenstellen.
Seinen letzten Film „Matulla und Busch“ drehte er 1995 unter der Regie seines Sohnes Matti Geschonneck. Für Heiner Müller und dessen Projekt „Duell Traktor Fatzer“ kehrte er in den neunziger Jahren noch einmal ans Berliner Ensemble zurück.
Es war wohl kein Zufall, dass in Geschonnecks Filmen immer wieder der Kampf gegen den Faschismus auftaucht: Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ging er ins Exil, bis nach Odessa in die Sowjetunion verschlug es ihn. Er wurde ausgewiesen und 1939 in Prag verhaftet, überlebte die Todeslager Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zählte er zu den 4000 KZ-Häftlingen auf dem Schiff Cap Arcona, das von der Royal Airforce versenkt wurde. 350 KZ-Häftlinge kamen damals mit dem Leben davon. Einer davon war Geschonneck.
Seine letzte Ruhe wird er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof finden, dem traditionsreichen Künstlerfriedhof in Berlin. Seine Grabstätte liegt gleich neben der von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Das ist ein würdiger Platz für den Volksschauspieler Erwin Geschonneck.
Ausgabe: HAZ Datum: 13.03.2008
Sehenswert: Jakob der Lügner (DEFA/Frank Beyer 1974)
Unbedingt hörenswert:
„Widerstand und Anpassung – Überlebensstrategie“
Erinnerungen eines Mannes an das Lager Dachau
Originaltonfeature von Thomas Heise
Rundfunk der DDR, 1987 verboten
Ursendung: 1989
gebattmer - 2008/03/15 00:42
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