Faust II revisited
Allüberall wird heuer festgestellt, dass Goethes Faust deshalb aktuell ist, weil erstmals 1808 zu Ostern – im Rahmen der Gesamtausgabe – erschienen. So rankt sich manches um das Ostermotiv : sehr schwurbelig in der ZEIT mit Frau von Thadden, klarer schon bei Seibt in der SZ, aber weshalb es wirklich lohnen könnte, gerade jetzt im "Faust" zu lesen, bleibt dabei eher verborgen:
Interessanter als die allzumenschliche Streberei ist Goethes im Faust II poetisch entfaltete Theorie gesellschaftlicher Entwicklung: Nachdem Faust und Mephisto die kleine Welt (und das doofe Gretchen) hinter sich gelassen haben, geht es um Einsichten in den Verlauf der Geschichte (u. a. der Finanzmärkte!) … ---- die viel aktueller sind, als die Schreiberlinge des bundesdeutschen Feuilletons, die offenbar so weit weg sitzen von der Wirtschaftsredaktion, zu erkennen vermögen. Im „Faust“ findet sich eine Erklärung für den aktuellen Crash, der nicht so genannt, nur umschrieben werden darf …
Goethe lesen!
kaiser
Ich grüße die Getreuen, Lieben,
Versammelt aus der Näh' und Weite; -
Den Weisen seh' ich mir zur Seite,
Allein wo ist der Narr geblieben?
junker
Gleich hinter deiner Mantelschleppe
Stürzt' er zusammen auf der Treppe,
Man trug hinweg das Fettgewicht,
Tot oder trunken? weiß man nicht.
zweiter junker
Sogleich mit wunderbarer Schnelle
Drängt sich ein andrer an die Stelle.
Gar köstlich ist er aufgeputzt,
Doch fratzenhaft, daß jeder stutzt;
Die Wache hält ihm an der Schwelle
Kreuzweis die Hellebarden vor -
Da ist er doch, der kühne Tor!
mephistopheles
Was ist verwünscht und stets willkommen?
Was ist ersehnt und stets verjagt?
Was immerfort in Schutz genommen?
Was hart gescholten und verklagt?
Wen darfst du nicht herbeiberufen?
Wen höret jeder gern genannt?
Was naht sich deines Thrones Stufen?
Was hat sich selbst hinweggebannt?
kaiser
Für diesmal spare deine Worte!
Hier sind die Rätsel nicht am Orte,
Das ist die Sache dieser Herrn. -
Da löse du! das hört' ich gern.
Mein alter Narr ging, fürcht' ich, weit ins Weite;
Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.
gemurmel der menge
Ein neuer Narr - Zu neuer Pein -
Wo kommt er her? - Wie kam er ein? -
Der alte fiel - Der hat vertan -
Es war ein Faß - Nun ist's ein Span -
kaiser
Und also, ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh' und Ferne!
Ihr sammelt euch mit günstigem Sterne,
Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.
Doch sagt, warum in diesen Tagen,
Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
Schönbärte mummenschänzlich tragen
Und Heitres nur genießen wollten,
Warum wir uns ratschlagend quälen sollten?
Doch weil ihr meint, es ging' nicht anders an,
Geschehen ist's, so sei's getan.
…
schatzmeister
Wer wird auf Bundsgenossen pochen!
Subsidien, die man uns versprochen,
Wie Röhrenwasser bleiben aus.
Auch, Herr, in deinen weiten Staaten
An wen ist der Besitz geraten?
Wohin man kommt, da hält ein Neuer Haus,
Und unabhängig will er leben,
Zusehen muß man, wie er's treibt;
Wir haben so viel Rechte hingegeben,
Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrigbleibt.
Auch auf Parteien, wie sie heißen,
Ist heutzutage kein Verlaß;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb' und Haß.
Die Ghibellinen wie die Guelfen
Verbergen sich, um auszuruhn;
Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
Ein jeder hat für sich zu tun.
Die Goldespforten sind verrammelt,
Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt,
Und unsre Kassen bleiben leer.
…
kaiser
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?
…
mephistopheles
Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt?
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft:
Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.
mephistopheles
Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.
kaiser
Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?
Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.
mephistopheles
Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,
Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,
Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte.
So war's von je in mächtiger Römer Zeit,
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben,
Der Boden ist des Kaisers, der soll's haben.
…..
Inzwischen – während des „Heiteren Fests“ - sind aus der blinden Bereitschaft des Kaisers und seines Hofes, das müßige Leben weiterzuführen und auf Schein-Reichtümer zu bauen, auf Mephistos Initiative, aber doch nur im Sinne des Hofes die praktischen Konsequenzen gezogen worden.
Der Schatz, den der Kaiser noch vor dem Mummenschanz sofort ausgraben wollte, ist schon gehoben: Es ist das Papiergeld. Das Papiergeld, das als allgemeines Äquivalent schon seit dem 12. Jahrhundert bekannt ist, beginnt seinen Siegeszug als Mittel des kapitalistischen Kredits mit John Law zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Bedeutung des Kredits für die Ankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft und damit den positiven Zusammenhang zwischen Papiergeld und sich entwickeln dem Kapitalismus wird Goethe kaum durchschaut haben. Er sieht in der Zeit der Französischen Revolution nur die viel auffälligeren Gefahren des Kreditsystems (Inflation, Spekulation), nicht auch dessen belebende ökonomische Wirkung und begreift deshalb - gemäß seinen Erfahrungen - das Papiergeld in erster Linie als Mittel des Parasitentums. In diesem Verständnis geht es in den »Faust« ein. Wenn Mephisto das Papiergeld erfindet, so führt er nicht etwas am Kaiserhof Fremdes ein, sondern gibt ihm ein Mittel zum parasitären Genuss an die Hand, das seinem Wesen gemäß ist. Das Papiergeld bescheinigt hier einen Wert, der nicht erarbeitet, also gar nicht vorhanden ist. Es verlängert das müßige Leben des Kaiserhofs, ohne dass jemals die Absicht bestünde, dem Vorschuss tatsächliche Arbeit folgen zu lassen.
In der Fastnacht hat der Kaiser - so erfahren wir jetzt - als großer Pan im Vertrauen darauf, dass im Boden seines Reiches Schätze verborgen liegen, die man nur auszugraben braucht, durch seine Unterschrift den Wert dieser Schätze auf ein Blatt Papier übertragen und damit »alles Weh in Wohl verwandelt« (6056). Das »schicksalschwere Blatt« (6055) wurde noch in der Nacht »durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht« (6072) und zur Begleichung ausstehender Zahlungen unter die Leute gebracht. Und schon herrscht, wie die Minister freudig meinen, überall im Lande eine neue Prosperität. (Heinz Hamm: Goethes Faust – Werkgeschichte und Textanalyse, Berlin (Volk und Wissen) 1977, S. 165 ff.)
Lustgarten
…
kaiser
Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht,
Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht?
Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
Versichr' ich dich der höchsten aller Gnaden.
Sei stets bereit, wenn eure Tageswelt,
Wie's oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.
marschalk
Durchlauchtigster, ich dacht' in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
Als diese, die mich hoch beglückt,
In deiner Gegenwart entzückt:
Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kann's nicht heitrer sein.
heermeister
Abschläglich ist der Sold entrichtet,
Das ganze Heer aufs neu' verpflichtet,
Der Landsknecht fühlt sich frisches Blut,
Und Wirt und Dirnen haben's gut.
kaiser
Wie atmet eure Brust erweitert!
Das faltige Gesicht erheitert!
Wie eilig tretet ihr heran!
schatzmeister
Befrage diese, die das Werk getan.
faust
Dem Kanzler ziemt's, die Sache vorzutragen.
kanzler
Beglückt genug in meinen alten Tagen. -
So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
"Zu wissen sei es jedem, der's begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz."
kaiser
Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?
schatzmeister
Erinnre dich! hast selbst es unterschrieben;
Erst heute nacht. Du standst als großer Pan,
Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
"Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen."
Du zogst sie rein, dann ward's in dieser Nacht
Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht.
Damit die Wohltat allen gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
Zehn, Dreißig, Funfzig, Hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht, wie wohl's dem Volke tat.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
Das Alphabet ist nun erst überzählig,
In diesem Zeichen wird nun jeder selig.
kaiser
Und meinen Leuten gilt's für gutes Gold?
Dem Heer, dem Hofe gnügt's zu vollem Sold?
So sehr mich's wundert, muß ich's gelten lassen.
marschalk
Unmöglich wär's, die Flüchtigen einzufassen;
Mit Blitzeswink zerstreute sich's im Lauf.
Die Wechslerbänke stehen sperrig auf:
Man honoriert daselbst ein jedes Blatt
Durch Gold und Silber, freilich mit Rabatt.
Nun geht's von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.
Bei "Hoch dem Kaiser!" sprudelt's in den Kellern,
Dort kocht's und brät's und klappert mit den Tellern.
mephistopheles
Wer die Terrassen einsam abspaziert,
Gewahrt die Schönste, herrlich aufgeziert,
Ein Aug' verdeckt vom stolzen Pfauenwedel,
Sie schmunzelt uns und blickt nach solcher Schedel;
Und hurt'ger als durch Witz und Redekunst
Vermittelt sich die reichste Liebesgunst.
Man wird sich nicht mit Börs' und Beutel plagen,
Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,
Mit Liebesbrieflein paart's bequem sich hier.
Der Priester trägt's andächtig im Brevier,
Und der Soldat, um rascher sich zu wenden,
Erleichtert schnell den Gürtel seiner Lenden.
Die Majestät verzeihe, wenn ins Kleine
Das hohe Werk ich zu erniedern scheine.
faust
Das übermaß der Schätze, das, erstarrt,
In deinen Landen tief im Boden harrt,
Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke
Ist solchen Reichtums kümmerlichste Schranke;
Die Phantasie, in ihrem höchsten Flug,
Sie strengt sich an und tut sich nie genug.
Doch fassen Geister, würdig, tief zu schauen,
Zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen.
mephistopheles
Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt,
Ist so bequem, man weiß doch, was man hat;
Man braucht nicht erst zu markten, noch zu tauschen,
Kann sich nach Lust in Lieb' und Wein berauschen.
Will man Metall, ein Wechsler ist bereit,
Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit.
Pokal und Kette wird verauktioniert,
Und das Papier, sogleich amortisiert,
Beschämt den Zweifler, der uns frech verhöhnt.
Man will nichts anders, ist daran gewöhnt.
So bleibt von nun an allen Kaiserlanden
An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.
Schon deutlich, dass man schon 1808, spätestens aber nach einer genaueren Analyse des so genannten "fiktiven Kapitals" aus dem späteren 19. Jahrhundert wissen konnte, dass das Drucken von Papier nur bei einigen wenigen Reichtum zu erzeugen vermag- und dass man Mephistos Ironie verstehen können muss, sonst fällt man auf ihn als Anlageberater herein - wie der Kaiser, der ja eigentlich eher der Realökonomie vertrauen möchte ... aber nichts weiß; - wie die Kanzleramtsökonomen einschließlich des unglaublichen Ackermann heute.
Interessanter als die allzumenschliche Streberei ist Goethes im Faust II poetisch entfaltete Theorie gesellschaftlicher Entwicklung: Nachdem Faust und Mephisto die kleine Welt (und das doofe Gretchen) hinter sich gelassen haben, geht es um Einsichten in den Verlauf der Geschichte (u. a. der Finanzmärkte!) … ---- die viel aktueller sind, als die Schreiberlinge des bundesdeutschen Feuilletons, die offenbar so weit weg sitzen von der Wirtschaftsredaktion, zu erkennen vermögen. Im „Faust“ findet sich eine Erklärung für den aktuellen Crash, der nicht so genannt, nur umschrieben werden darf …
Goethe lesen!
kaiser
Ich grüße die Getreuen, Lieben,
Versammelt aus der Näh' und Weite; -
Den Weisen seh' ich mir zur Seite,
Allein wo ist der Narr geblieben?
junker
Gleich hinter deiner Mantelschleppe
Stürzt' er zusammen auf der Treppe,
Man trug hinweg das Fettgewicht,
Tot oder trunken? weiß man nicht.
zweiter junker
Sogleich mit wunderbarer Schnelle
Drängt sich ein andrer an die Stelle.
Gar köstlich ist er aufgeputzt,
Doch fratzenhaft, daß jeder stutzt;
Die Wache hält ihm an der Schwelle
Kreuzweis die Hellebarden vor -
Da ist er doch, der kühne Tor!
mephistopheles
Was ist verwünscht und stets willkommen?
Was ist ersehnt und stets verjagt?
Was immerfort in Schutz genommen?
Was hart gescholten und verklagt?
Wen darfst du nicht herbeiberufen?
Wen höret jeder gern genannt?
Was naht sich deines Thrones Stufen?
Was hat sich selbst hinweggebannt?
kaiser
Für diesmal spare deine Worte!
Hier sind die Rätsel nicht am Orte,
Das ist die Sache dieser Herrn. -
Da löse du! das hört' ich gern.
Mein alter Narr ging, fürcht' ich, weit ins Weite;
Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.
gemurmel der menge
Ein neuer Narr - Zu neuer Pein -
Wo kommt er her? - Wie kam er ein? -
Der alte fiel - Der hat vertan -
Es war ein Faß - Nun ist's ein Span -
kaiser
Und also, ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh' und Ferne!
Ihr sammelt euch mit günstigem Sterne,
Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.
Doch sagt, warum in diesen Tagen,
Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
Schönbärte mummenschänzlich tragen
Und Heitres nur genießen wollten,
Warum wir uns ratschlagend quälen sollten?
Doch weil ihr meint, es ging' nicht anders an,
Geschehen ist's, so sei's getan.
…
schatzmeister
Wer wird auf Bundsgenossen pochen!
Subsidien, die man uns versprochen,
Wie Röhrenwasser bleiben aus.
Auch, Herr, in deinen weiten Staaten
An wen ist der Besitz geraten?
Wohin man kommt, da hält ein Neuer Haus,
Und unabhängig will er leben,
Zusehen muß man, wie er's treibt;
Wir haben so viel Rechte hingegeben,
Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrigbleibt.
Auch auf Parteien, wie sie heißen,
Ist heutzutage kein Verlaß;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb' und Haß.
Die Ghibellinen wie die Guelfen
Verbergen sich, um auszuruhn;
Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
Ein jeder hat für sich zu tun.
Die Goldespforten sind verrammelt,
Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt,
Und unsre Kassen bleiben leer.
…
kaiser
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?
…
mephistopheles
Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt?
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft:
Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.
mephistopheles
Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.
kaiser
Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?
Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.
mephistopheles
Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,
Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,
Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte.
So war's von je in mächtiger Römer Zeit,
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben,
Der Boden ist des Kaisers, der soll's haben.
…..
Inzwischen – während des „Heiteren Fests“ - sind aus der blinden Bereitschaft des Kaisers und seines Hofes, das müßige Leben weiterzuführen und auf Schein-Reichtümer zu bauen, auf Mephistos Initiative, aber doch nur im Sinne des Hofes die praktischen Konsequenzen gezogen worden.
Der Schatz, den der Kaiser noch vor dem Mummenschanz sofort ausgraben wollte, ist schon gehoben: Es ist das Papiergeld. Das Papiergeld, das als allgemeines Äquivalent schon seit dem 12. Jahrhundert bekannt ist, beginnt seinen Siegeszug als Mittel des kapitalistischen Kredits mit John Law zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Bedeutung des Kredits für die Ankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft und damit den positiven Zusammenhang zwischen Papiergeld und sich entwickeln dem Kapitalismus wird Goethe kaum durchschaut haben. Er sieht in der Zeit der Französischen Revolution nur die viel auffälligeren Gefahren des Kreditsystems (Inflation, Spekulation), nicht auch dessen belebende ökonomische Wirkung und begreift deshalb - gemäß seinen Erfahrungen - das Papiergeld in erster Linie als Mittel des Parasitentums. In diesem Verständnis geht es in den »Faust« ein. Wenn Mephisto das Papiergeld erfindet, so führt er nicht etwas am Kaiserhof Fremdes ein, sondern gibt ihm ein Mittel zum parasitären Genuss an die Hand, das seinem Wesen gemäß ist. Das Papiergeld bescheinigt hier einen Wert, der nicht erarbeitet, also gar nicht vorhanden ist. Es verlängert das müßige Leben des Kaiserhofs, ohne dass jemals die Absicht bestünde, dem Vorschuss tatsächliche Arbeit folgen zu lassen.
In der Fastnacht hat der Kaiser - so erfahren wir jetzt - als großer Pan im Vertrauen darauf, dass im Boden seines Reiches Schätze verborgen liegen, die man nur auszugraben braucht, durch seine Unterschrift den Wert dieser Schätze auf ein Blatt Papier übertragen und damit »alles Weh in Wohl verwandelt« (6056). Das »schicksalschwere Blatt« (6055) wurde noch in der Nacht »durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht« (6072) und zur Begleichung ausstehender Zahlungen unter die Leute gebracht. Und schon herrscht, wie die Minister freudig meinen, überall im Lande eine neue Prosperität. (Heinz Hamm: Goethes Faust – Werkgeschichte und Textanalyse, Berlin (Volk und Wissen) 1977, S. 165 ff.)
Lustgarten
…
kaiser
Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht,
Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht?
Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
Versichr' ich dich der höchsten aller Gnaden.
Sei stets bereit, wenn eure Tageswelt,
Wie's oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.
marschalk
Durchlauchtigster, ich dacht' in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
Als diese, die mich hoch beglückt,
In deiner Gegenwart entzückt:
Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kann's nicht heitrer sein.
heermeister
Abschläglich ist der Sold entrichtet,
Das ganze Heer aufs neu' verpflichtet,
Der Landsknecht fühlt sich frisches Blut,
Und Wirt und Dirnen haben's gut.
kaiser
Wie atmet eure Brust erweitert!
Das faltige Gesicht erheitert!
Wie eilig tretet ihr heran!
schatzmeister
Befrage diese, die das Werk getan.
faust
Dem Kanzler ziemt's, die Sache vorzutragen.
kanzler
Beglückt genug in meinen alten Tagen. -
So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
"Zu wissen sei es jedem, der's begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz."
kaiser
Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?
schatzmeister
Erinnre dich! hast selbst es unterschrieben;
Erst heute nacht. Du standst als großer Pan,
Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
"Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen."
Du zogst sie rein, dann ward's in dieser Nacht
Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht.
Damit die Wohltat allen gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
Zehn, Dreißig, Funfzig, Hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht, wie wohl's dem Volke tat.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
Das Alphabet ist nun erst überzählig,
In diesem Zeichen wird nun jeder selig.
kaiser
Und meinen Leuten gilt's für gutes Gold?
Dem Heer, dem Hofe gnügt's zu vollem Sold?
So sehr mich's wundert, muß ich's gelten lassen.
marschalk
Unmöglich wär's, die Flüchtigen einzufassen;
Mit Blitzeswink zerstreute sich's im Lauf.
Die Wechslerbänke stehen sperrig auf:
Man honoriert daselbst ein jedes Blatt
Durch Gold und Silber, freilich mit Rabatt.
Nun geht's von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.
Bei "Hoch dem Kaiser!" sprudelt's in den Kellern,
Dort kocht's und brät's und klappert mit den Tellern.
mephistopheles
Wer die Terrassen einsam abspaziert,
Gewahrt die Schönste, herrlich aufgeziert,
Ein Aug' verdeckt vom stolzen Pfauenwedel,
Sie schmunzelt uns und blickt nach solcher Schedel;
Und hurt'ger als durch Witz und Redekunst
Vermittelt sich die reichste Liebesgunst.
Man wird sich nicht mit Börs' und Beutel plagen,
Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,
Mit Liebesbrieflein paart's bequem sich hier.
Der Priester trägt's andächtig im Brevier,
Und der Soldat, um rascher sich zu wenden,
Erleichtert schnell den Gürtel seiner Lenden.
Die Majestät verzeihe, wenn ins Kleine
Das hohe Werk ich zu erniedern scheine.
faust
Das übermaß der Schätze, das, erstarrt,
In deinen Landen tief im Boden harrt,
Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke
Ist solchen Reichtums kümmerlichste Schranke;
Die Phantasie, in ihrem höchsten Flug,
Sie strengt sich an und tut sich nie genug.
Doch fassen Geister, würdig, tief zu schauen,
Zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen.
mephistopheles
Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt,
Ist so bequem, man weiß doch, was man hat;
Man braucht nicht erst zu markten, noch zu tauschen,
Kann sich nach Lust in Lieb' und Wein berauschen.
Will man Metall, ein Wechsler ist bereit,
Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit.
Pokal und Kette wird verauktioniert,
Und das Papier, sogleich amortisiert,
Beschämt den Zweifler, der uns frech verhöhnt.
Man will nichts anders, ist daran gewöhnt.
So bleibt von nun an allen Kaiserlanden
An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.
Schon deutlich, dass man schon 1808, spätestens aber nach einer genaueren Analyse des so genannten "fiktiven Kapitals" aus dem späteren 19. Jahrhundert wissen konnte, dass das Drucken von Papier nur bei einigen wenigen Reichtum zu erzeugen vermag- und dass man Mephistos Ironie verstehen können muss, sonst fällt man auf ihn als Anlageberater herein - wie der Kaiser, der ja eigentlich eher der Realökonomie vertrauen möchte ... aber nichts weiß; - wie die Kanzleramtsökonomen einschließlich des unglaublichen Ackermann heute.
gebattmer - 2008/03/22 23:07
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