Zuweilen (XIII): Wölfe mitten im Mai - Im memoriam Franz Josef Degenhardt
Franz Josef Degenhardt (1931 - 2011) (Foto: Jürgen Wassmuth/ SüddeutscheZeitung Photo)
Zuweilen bemerkt man erst (wie ich schon häufiger feststellte), wenn man vom Tod eines Menschen erfährt, wie wichtig er einem war. Am Montag ist Franz Josef Degenhardt gestorben.
Ein Nachruf von Konstantin Wecker und Prinz Chaos II. im Freitag
- in dem dankenswerterweise auch die widerwärtige Verlogenheit der deutschen Medien zur Sprache kommt, die sich jüngst noch in der immer schlimmer werdenden HAZ (ich mag Sie nicht mehr meine LieblingsHAZ nennen*) zeigte, als am 15.11. der bei dieser Gelegenheit auch noch vom Odium der Margot-Honecker-Freunschaft zu befreienede eitle Greiner Biermann zum 75.sten eine gute halbe Seite bekam und Degenhardt zum Tode eine viertel Spalte:
Degenhardt wurde mit einer organisierten Niedertracht bekämpft, die in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel ist. Zensur gibt es bekanntlich nur in China und Iran, aber Degenhardts Lieder in den öffentlichen Rundfunkanstalten zu spielen, war ab Ende der 70er verboten. Der Arm der Obrigkeit reichte weit hinein in die Branche der Konzertveranstalter. In Zeiten der Berufsverbote und der Sympathisantenhatz konnte sich mit dem Altmeister öffentlich gemein zu machen die eigene berufliche Stellung beschädigen.
An Degenhardt wurde, man muss das in dieser Deutlichkeit sagen, ein Exempel statutiert. Degenhardt war das Beispiel, an dem der Nachwuchs lernen sollte, dass politisches Engagement die Karriere keineswegs fördert - und diese Lektion wurde bis auf den heutigen Tag schrecklich gut verstanden.
Noch zu seinem 75. Geburtstag herrschte - von Freitag, taz, ND und junge Welt abgesehen - immer noch eisiges Schweigen im deutschen Blätterwald....
Auch die großen Romane Degenhardts (für mich: Zündschnüre und Brandstellen) waren lange nicht mehr erhältlich! -Jetzt hat Kulturmaschinen die Werkausgabe editiert!
Während in Frankreich z. B. Georges Brassens oder Georges Moustaki unbestritten zum kulturellen Erbe gehören, ist es hierzulande gelungen, ein solches fast komlett zu tilgen.
An einem guten Beispiel wird in dem Nachruf die denn doch nicht zu unterdrückende Degenhardt-Rezeption deutlich gemacht:
Nehmen wir das Lied "Wölfe mitten im Mai". August der Schäfer hat Wölfe gesehen, aber anstatt rasch die Sensen zu holen und die Wölfe totzuschlagen, wiegt sich das Dorf in trügerischer Sicherheit. Die Wölfe warten auf den günstigsten Zeitpunkt und richten ein Blutbad an.
1965 hatte der Song einen klaren Bezug zum Aufstieg der NPD, die damals in sieben westdeutsche Landtage einzog. Anfang der 90er, als Flüchtlingsheime brannten und Nazi-Pogrome durchs wiedervereinigte Deutschland gingen, war "Wölfe mitten im Mai" erneut ein Lied von unübertroffener Aktualität. (Man kann es auch dieser Tage gut hören). So lernten wir beide, mit dreieinhalb Jahrzehnten Abstand, das gleiche Lied kennen - was auch daran lag, dass wir es jeweils mit dem gleichen, ewigen, braunen Sumpf zu tun bekamen.
Vor allem aber verdankt sich die Wirkung einer hohen poetischen Kunst. Degenhardt - und hier zeigt sich der alte Wandervogel! - schöpft aus dem kollektiven Mythen- und Metaphernschatz archetypische Geschichten und Figuren. Wie viele seiner Lieder funktioniert "Wölfe mitten im Mai" deshalb auch ohne konkreten Bezug, als ein schauriges Märchen, eine Warngeschichte aus früherer Zeit. Auf dieser Bedeutungsebene ist das Lied jedem Kind zugänglich. Die unmittelbar politische und zeitbezogene Bedeutungsebene läuft als Subtext mit, aber erfasst man sie, so ist es, als detoniere der Song in eine neue Dimension. Das ist der berühmte Degenhardt-Effekt. Das ist der Grund, warum man Degenhardt wirklich zuhören muss, um etwas mit ihm anfangen zu können.
August der Schäfer hat Wölfe gehört,
Wölfe mitten im Mai, zwar nur zwei,
aber August der schwört,
sie hätten zusammen das Fraßlied geheult,
das aus früherer Zeit, und er schreit.
und sein Hut ist verbeult.
Schreit: "Rasch, holt die Sensen sonst ist es zu spät.
Schlagt sie tot, noch eher der Hahn dreimal kräht."
Doch wer hört schon auf einen alten Hut
und ist auf der Hut? Und ist auf der Hut?
August der Schäfer ward niemehr geseh'n,
nur sein alter Hut, voller Blut,
schwamm im Bach. Circa zehn
hat dann später das Dorfhexenkind
nachts im Steinbruch entdeckt, blutbefleckt
und die Schnauze im Wind.
Dem Kind hat die Mutter den Mund zugehext,
hat geflüstert: "Bist still oder du verreckst!
Wer den bösen Wolf nicht vergißt, mein Kind,
bleibt immer ein Kind. Bleibt immer ein Kind."
Schon schnappten die Hunde den Wind, und im Hag
rochen Rosen nach Aas. Kein Schwein fraß.
Eulen jagten am Tag.
Hühner verscharrten die Eier im Sand.
Speck im Fang wurde weich. Aus dem Teich
krochen Karpfen an Land.
Da haben die greise zahnlos gelacht
und gezischelt: "Wir haben's ja gleich gesagt.
Düngt die Felder wieder mit dem alten Mist,
sonst ist alles Mist. Sonst ist alles Mist
Dann zu Johannis beim Feuertanzfest
- keiner weiß heut' mehr wie - waren sie
plötzlich da. Aus Geäst
sprangen sie in den Tanzkreis. Zu schnell
bissen Bräute ins Gras, und zu blaß
schien der Mond. Aber hell,
hell brannte Feuer aus trockenem Moos,
brannte der Wald bis hinunter zum Fluß.
"Kinder, spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts,
und riechen auch nichts. Und riechen auch nichts."
"Jetzt kommen die Zeiten, da heißt es, heraus
mit dem Gold aus dem Mund. Seid klug und
wühlt euch Gräben ums Haus.
Gebt eure Töchter dem rohesten Knecht,
jenem, der noch zur Not nicht nur Brot,
mit den Zähnen aufbricht."
So sprach der verschmuddelte Bauchladenmann
und pries Amulette aus Wolfszähnen an.
"Wickelt Stroh und Stacheldraht um den Hals
und haltet den Hals. Und haltet den Hals."
Was ist dann doch in den Häusern passiert?
Bisse in Balken und Bett. Welches Fett
hat den Rauchfang verschmiert?
Wer gab den Wölfen die Kreide, das Mehl,
stäubte die Pfoten weiß? Welcher Greiß
glich dem Ziegengebell?
Und hat sich ein siebentes Geißlein versteckt?
Wurden Wackersteine im Brunnen entdeckt?
Viele Fragen, die nur einer hören will,
der stören will. Der stören will.
Doch jener Knecht mit dem Wildschweingebrech
- heute ein Touristenziel - weiß, wieviel
da geschah. Aber frech
hockt er im Käfig, frißt Blutwurst und lacht
wennn man ihn fragt. Und nur Schlag Null Uhr
zur Johannisnacht,
wenn von den Bergen das Feuerrad springt,
die Touristenschar fröhlich das Fraßlied singt,
beißt er wild ins Gitter, schreit: "Schluß mit dem Lied!
's ein garstig Lied. 's ein garstig Lied."
August der Schäfer hat Wölfe gehört,
Wölfe mitten im Mai, mehr als zwei.
Und der Schäfer, der schwört,
sie hätten zusammen das Fraßlied geheult,
das aus früherer Zeit, und er schreit.
Und sein Hut ist verbeult.
Schreit: "Rasch, holt die Sensen sonst ist es zu spät.
Schlagt sie tot, noch ehe der Hahn dreimal kräht."
Doch wer hört schon auf einen alten Hut
und ist auf der Hut? Und ist auf der Hut?
Werner Pomrehn (recycling-Redaktion) und Günther Jacob haben sich in einer Sendung auf dem FSK zwei Stunden lang dem Leben, Wirken und der Musik Franz Josef Degenhardts gewidmet.
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* Heute hat die HAZ z.B. einen Propaganda-Artikel auf Seite 1, der an Schamlosigkeit und journalistischer Unter-aller-Sau-Haftigkeit kaum zu über- bzw. unterbieten ist:
Mit gutem Willem : Je ne veux pas travailer comme vous voulez ...
gebattmer - 2011/11/17 21:12