Was Drohnen und Facebook verbindet: Liquid Surveillance und das Ende der Anonymität
Gestern Abend beim Nachlesen in den Blättern für deutsche und internationale Politik vom Oktober stieß ich auf einen faszinierenden Text von Zygmunt Bauman. Dabei fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit gelesen hatte von antisemitischen Pöbeleien und antikommunistischen Anwürfen gegen Bauman. (Hier nachzulesen.)
Heute verweisen die Nachdenkseiten auf eben diesen Text:
Zygmunt Bauman:
Heute verweisen die Nachdenkseiten auf eben diesen Text:
Zygmunt Bauman:
- Mit Ihrer Frage spielen Sie auf einen kleinen Text an, der vor einigen Monaten auf der Website „Social Europe“ erschienen ist. In diesem Essay habe ich mich mit zwei scheinbar unzusammenhängenden Zeitungsartikeln befasst, die an aufeinander folgenden Tagen, dem 19. und 20. Juni 2011, veröffentlicht wurden – wobei es keiner von beiden in die Schlagzeilen schaffte und man niemandem einen Vorwurf machen kann, der sie übersehen hat.
Der erste Artikel berichtet, dass die Drohnen der neuesten Generation nur noch so groß wie eine Libelle oder ein Kolibri sind und bequem auf einer Fensterbank landen können, damit sie, wie es ein Luftfahrtingenieur namens Greg Parker begeistert formuliert, selbst „bei bester Sicht verborgen bleiben“. Im zweiten Artikel wird behauptet, dass das Internet das Ende der Anonymität herbeiführen werde. Beide Mitteilungen sagen übereinstimmend den Untergang von Verborgenheit und Selbstbestimmung voraus, und sie sind unabhängig voneinander und ohne Kenntnis des jeweils anderen entstanden.
Die unbemannten Drohnen, die wie die berühmt-berüchtigten „Predator“-Modelle Spionage- und Kampfaufgaben übernehmen („Seit 2006 sind mehr als 1900 Aufständische in den pakistanischen Stammesgebieten von US-amerikanischen Drohnen getötet worden“), werden also demnächst zumindest im Bereich „Aufklärung“ auf die Größe kleiner Vögel schrumpfen, vorzugsweise auf die von Insekten.
Die Drohnen der darauf folgenden Generation werden unsichtbar sein, während sie alles um sich herum der Beobachtung zugänglich machen; sie selbst werden unantastbar sein, während sie alles in ihrer Umgebung verwundbar machen. Peter Baker, Professor für Ethik an der United States Naval Academy, meint, dass mit ihnen das „postheroische Zeitalter“ der Kriegsführung anbrechen wird. Sie werden aber zugleich, wenn man anderen „Militärethikern“ glaubt, die bereits jetzt erhebliche „Entfernung zwischen der amerikanischen Öffentlichkeit und dem Krieg“ vergrößern. Es handelt sich also um einen weiteren (den nach der Ersetzung von Wehrpflichtigen durch Berufssoldaten zweiten) Schritt in dem Bestreben, den Krieg so zu führen, dass er für die Nation, in deren Namen er geführt wird, möglichst unsichtbar bleibt (da keiner ihrer Bürger mehr sein Leben riskieren muss) – und sie machen damit das Kriegführen selbst um so einfacher und natürlich auch verlockender, aufgrund des nahezu vollständigen Ausbleibens von Kollateralschäden und politischen Kosten.
Die Drohnen der nächsten Generation werden alles sehen, während sie selbst verlockend unsichtbar bleiben, und zwar im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne. Niemand wird sich vor dem Beobachtetwerden schützen können – nirgendwo. Auch die Techniker, die die Drohnen in Marsch setzen, werden dann keine Kontrolle mehr über ihre Bewegungen haben und nicht mehr in der Lage sein, irgendwelche potentiellen Beobachtungsobjekte von der Überwachung auszunehmen, so heftig man sie in bestimmten Fällen auch bedrängen mag, genau das zu tun: Die „neuen verbesserten“ Drohnen werden darauf programmiert sein, selbststeuernd umherzufliegen und auf selbstfestgelegten Routen selbstgewählte Ziele anzusteuern. Sobald sie erst einmal in der vorgesehenen Anzahl in Gang gesetzt worden sind, begrenzt allein der Himmel die Menge der Informationen, die sie liefern werden.
Das ist also diejenige Perspektive der neuen Spionage- und Überwachungsgeräte, die – aufgrund deren Fähigkeit, in großer Entfernung autonom zu agieren – ihren Konstrukteuren die meisten Sorgen bereitet, und folgerichtig auch den Journalisten, die über sie berichten: die Aussicht auf einen „Daten-Tsunami“, dessen Vorboten die Mitarbeiter in den Kommandozentralen der Air Force bereits jetzt überfordern und der ihre Aufnahmefähigkeit bald vollends zu übersteigen und ihnen (wie auch allen anderen Akteuren) gänzlich zu entgleiten droht. Seit dem 11. September 2001 ist die Anzahl der Stunden, die Mitarbeiter der Air Force mit der Verarbeitung der von Drohnen gelieferten Informationen zubringen, um 3100 Prozent gestiegen – und täglich kommen 1500 Stunden neues Videomaterial hinzu, die dringend bewältigt werden wollen. Sobald der veraltete „Schlüsselloch“-Blick der in die Drohne eingebauten Sensoren erst einmal durch eine Technik namens „Gorgon stare“[3] abgelöst ist, dank der sich (ein ungeheurer Fortschritt) eine ganze Stadt in einem einzigen Überflug erfassen lässt, wird man 2000 anstelle der bisherigen 19 Analysten benötigen, um die Datenströme einer einzigen Drohne zu sichten. Das heißt aber nur, dass das Herausfischen eines „interessanten“ oder „relevanten“ Objekts aus dem bodenlosen Datenfass erheblichen Arbeitsaufwands bedürfen und eher viel Geld kosten wird; aber gerade nicht, dass sich irgendeines der potentiellen Objekte des Interesses dagegen verwahren könnte, überhaupt in dieses Fass gespült zu werden. Niemand wird jemals mehr mit Sicherheit wissen können, ob und wann sich ein solcher „Kolibri“ auf seiner Fensterbank niedergelassen hat.
Was das im Internet sich abzeichnende „Ende der Anonymität“ angeht, liegt die Sache ein wenig anders: Wir verzichten auf unser Recht auf Privatsphäre und lassen uns freiwillig zur Schlachtbank führen. Möglicherweise stimmen wir dem Verlust der Privatsphäre aber auch zu, weil er ein akzeptabler Preis für das tolle Zeug ist, das wir im Tausch dafür erhalten. Oder aber der Druck, unsere persönliche Autonomie dem Schlachthaus zu überantworten, ist, wie bei einer Herde Schafe, derart übermächtig, dass nur außergewöhnlich rebellische, stolze, kämpferische und willensstarke Menschen in der Lage sind, einen ernsthaften Versuch des Widerstands zu unternehmen. Ob nun so oder so, jedenfalls werden wir – zumindest nominell – vor eine Wahl gestellt, und man offeriert uns wenigstens den Anschein eines Vertrags auf Gegenseitigkeit und ein immerhin formales Recht, gegen mögliche Vertragsbrüche zu protestieren und Klage zu führen: etwas, das einem auf die Drohnen bezogen niemand gewähren kann.
Wie dem auch sei, sobald wir einmal „drin“ sind, sind wir unserem Schicksal ausgeliefert. Brian Stelter meint, dass „die kollektive Intelligenz von zwei Milliarden Internetnutzern zusammen mit den digitalen Fingerabdrücken, die viele von ihnen auf Webseiten hinterlassen, demnächst dazu führen wird, dass praktisch jedes peinliche Video, jedes private Foto und jede taktlose E-Mail seiner bzw. ihrer Quelle zugeordnet werden kann, ob diese Quelle das nun will oder nicht.“ ...
Alles Private spielt sich heute potentiell in der Öffentlichkeit ab – und ist damit potentiell für den Konsum durch diese verfügbar; und bleibt auch weiterhin verfügbar – bis zum Ende der Zeit –, da das Internet bekanntlich nichts vergisst, das einmal auf einem seiner zahllosen Server gelandet ist. „Diese Auflösung der Anonymität haben wir den alles durchdringenden Sozialen Medien zu verdanken, billigen Mobiltelefonen mit eingebauter Kamera, kostenlosen Hosting-Seiten für Fotos und Videos, und vielleicht vor allem einem Meinungswandel vieler Leute hinsichtlich der Frage, was öffentlich sein und was privat bleiben sollte.“ All jene Technik-Gadgets sind, so erklärt man uns, „nutzerfreundlich“ – obgleich diese Lieblingsvokabel der Werbetexter bei genauerem Hinsehen lediglich besagt, dass das jeweilige Produkt – ähnlich wie ein IKEA-Regal – ohne die tätige Mitarbeit des Nutzers gar keines wäre. Und ohne, so möchte ich hinzufügen, seinen Enthusiasmus und seine Hingabe und seine Jubelrufe...
Die meines Erachtens bemerkenswerteste Eigenschaft der neuen Formen von Überwachung ist, dass es ihnen mit gutem Zureden oder Zwang irgendwie gelungen ist, gegensätzliche Dinge dazu zu bringen, in Einklang miteinander im Dienste derselben Realität zu arbeiten. Einerseits nähert sich die alte panoptische Strategie („Nie sollst du wissen, wann wir dich beobachten, damit du dich nie unbeobachtet fühlen kannst“) langsam, aber offenbar unaufhaltsam ihrer nahezu universellen Anwendung. Da aber der Alptraum des Panoptikums – du bist nie allein – heute als hoffnungsvolle Botschaft wiederkehrt – „Du musst nie wieder allein (verlassen, übersehen, vernachlässigt, überstimmt und ausgeschlossen) sein“ –, wird andererseits die alte Angst vor Entdeckung von der Freude darüber abgelöst, dass immer jemand da ist, der einen wahrnimmt.
Dass diese Entwicklungen, und vor allem ihr harmonisches Zusammenwirken zur Beförderung desselben Zwecks, möglich wurden, liegt offensichtlich daran, dass heute nicht mehr Inhaftierung und Arrest, sondern Ausgrenzung als schlimmste Bedrohung der existentiellen Sicherheit gilt und als Hauptquelle von Ängsten fungiert. Das Beobachtet- und Gesehenwerden hat sich dadurch aus einer Bedrohung in eine Verheißung verwandelt. Das Versprechen erhöhter Sichtbarkeit, die Aussicht, „ins Freie zu gelangen“, wo einen jeder sehen und bemerken kann, kommt dem ersehnten Beweis gesellschaftlicher Anerkennung nahe, also einer wertvollen – „sinnvollen“ – Existenz. Sein ganzes Leben samt allen Fehlern und Missgriffen in öffentlich zugänglichen Verzeichnissen verschlagwortet zu haben, erscheint als das bestmögliche prophylaktische Antidot gegen das Gift des Ausgeschlossenwerdens – und zugleich als potenter Weg, die Gefahr einer Zwangsausweisung abzuwehren; tatsächlich ist es eine Versuchung, der zu widerstehen sich wohl nur wenige Praktiker von zugegebenermaßen prekärer sozialer Existenz stark genug fühlen werden. Mir scheint, dass der phänomenale Erfolg der „sozialen Netzwerke“ in jüngster Zeit ein gutes Beispiel für diesen Trend ist...
gebattmer - 2013/10/28 18:30
Lem, "Der Flop": Im 21. Jahrhundert sind die Großmächte übereingekommen, auf Erden abzurüsten und die gesamten Waffenarsenale auf den Mond zu verlagern; in durch neutrale Zonen getrennte Sektoren. Analog dem Prinzip der natürlichen Evolution organischer Lebewesen vollzieht sich auf dem Mond eine Selbstoptimierung der Waffensysteme, völlig autonom. Niemand auf Erden weiß, was sich auf dem Mond wirklich abspielt, welche Seite inzwischen einen Vorsprung gewonnen haben mag, die "Doktrin der totalen Unkenntnis" wird strikt eingehalten. Automatische Aufklärungssonden gehen spurlos verloren. Zeit also für Ijon Tichy, Lems unermüdlichen Weltraumreisenden, der nie zögert, wenn es gilt, die Menschheit zu retten, als Agent der "Lunar Agency" auf dem Mond nach dem Rechten zu sehen. Leider zieht er sich dabei eine Kallotomie zu, sein Gehirn wird in zwei Teile aufgespalten, was zu für ihn grostesken Folgen führt, denn zwei Seelen oder zwei Gehirnhälften liegen alsbald in ihm in Widerstreit miteinander ... (surhkamp)
Das passt! Science fiction 1986!!