Deutsche Unternehmer: Heute: Karl Amson Joel, Josef Neckermann und Gustav Schickedanz - oder: Archäologie LXXIIa
"Erinnerungen des Josef Neckermann"
"Im Jahre 1927 hatten sich der Nürnberger Karl Amson Joel und seine Frau 10 000 Reichsmark zusammengespart. Mit diesem bescheidenen Vermögen begründeten sie einen kleinen Wäscheversand." So beschaulich beginnt das Kapitel "Nach Berlin!" in den "Erinnerungen des Josef Neckermann". Er selbst, Sohn des größten bayerischen Kohlehändlers und Ehemann einer Frau aus neureichem Autohandel, war nie Antisemit, lebte aber nach dem Grundsatz: "Wenn ich es nicht tue, macht's ein anderer." Und es wird die normalste und deshalb grauenhafteste Geschichte im Schnittpunkt von Egoismus und Zeitgeist, von blanker Habgier und arischem Wahnsinn. Hand in Hand. Hier wird keiner gefoltert und ins KZ geschickt, hier sitzen sie nur und warten darauf, daß einer zusammenbricht und aufgibt. Josef Neckermann ist sich in seinen verblüffend offenen "Erinnerungen" seines Rechts so sicher, daß Helmut Joel sechzig Jahre später nur resignierend mit der Schulter zuckt.
Einreiten: Josef Neckermann, geboren am 5. Juni 1912 in Würzburg, konnte, wie die meisten, nichts dafür. Ein junger, aufstrebender Kaufmannssohn, der der Reiter-SA beitrat ("allerdings ohne es recht zu bemerken", J.N.) und froh war, daß sein Schwiegervater "seine ursprüngliche Begeisterung für den Nationalsozialismus auf ein normaldeutsches Maß zurückschraubte". Glückliche Fügung, daß er zwi jüdische Kaufhäuser in Würzburg billig erwerben konnte, trotz des Protestes seiner Mutter (Musch: "Jüdische Warenhäuser, ich bitte Dich! Wie es da schon riecht!"). Nachdem die SA zwei Jahre lang Kunden angepöbelt und photografiert hat, verschiedene Warenkategorien verboten wurden und die Dresdner Bank plötzlich keinen Kredit mehr gewähren konnte, dafür auf Rückzahlung des alten Darlehens drängte, kam Neckermann zu Hilfe - er kaufte. 1935 "Ruschkewitz" und "Merkur", dann 1937 das gegenüberliegende Spezialgeschäft "Vetter", "das vom Vorbesitzer arisiert worden war. Ein guter Fischzug" (J.N.). Motto Neckermann: "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit."
Die Dressur: "Neben "Witt Weiden", Gustav Schickedanz' "Quelle" und "Schöpflin" gehörte Karl Joels Wäsche- und Konfektionsversandhaus zu den Großen der Branche. Mit Stoffresten hatte es begonnen, die Adressenkartei wuchs, die Vierzimmerwohnung in der Uhlandstraße erwies sich bald als zu eng, eine eigene Näherei wurde eingerichtet, das Angebot auf Konfektion erweitert, das Versandunternehmen Joel begann zu blühen. Josef Neckermann: "Karl Amson Joels Unternehmen hatte nur zwei Haken: Er war Jude, und er hatte sich als Firmensitz ausgerechnet die Stadt Nürnberg ausgesucht, die Stadt des berüchtigten Julius Streicher." 1934 entschloß sich karl Joel, sein Unternehmen nach Berlin zu verlegen, die Näherei verblieb in Nürnberg. Das verschaffte ihm eine Gnadenfrist von vier Jahren, begünstigt durch die taktierende Wirtschaftspolitik Hermann Görings und die Fürsprache Fritz Tillmanns, Parteigenosse, Stadtrat, Chef des Wirtschaftsberatungsamts und Tuchfabrikant. Die Schikanen verschärften sich auch hier: Arier in die Geschäftsleitung, Boykott durch arische Zulieferfirmen, immer wieder Verhaftungen, Kennzeichnung der Pakete mit einem "J", Verbot, in Zeitungen zu inserieren. Als am 26. April 1938 eine "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" über 5000 Reichsmark und die "Arisierung jüdischer Wirtschaftsbetriebe" beschlossen wird, gibt Karl Joel auf. Er will verkaufen.
Josef Neckermann: "Ich bat meinen Schwiegervater, sich umzuhören, ob nicht vielleicht irgendwo ein Versandhaus zum Verkauf stünde. Etwa drei Millionen wollte ich dafür ausgeben." So viel mußte er gar nicht anlegen. Das Versandhaus, dessen Konfektionsumsatz Neckermann für 1937 mit einer Million monatlich angibt, dessen Gesamtjahresumsatz für 1938 er zwei Buchseiten später mit vier Millionen beziffert, wird immer billiger. Am 11. Juli 1938 unterzeichnen Karl Joel und Josef Neckermann den Verkaufsvertrag. Am 1. September soll Neckermann den Betrieb übernehmen. Karl Joel verliert die Nerven und flieht in die Schweiz. Und es wird noch billiger.
Josef Neckermann: "Das Inventar wurde statt wie vorgesehen mit 200 000 nur mit 5300 Reichsmark bewertet. Von dem seinerzeit vereinbarten Kaufpreis von 2,3 Millionen, von dem die Verbindlichkeiten und Lieferantenverpflichtungen der Firma Joel abgezogen wurden, habe ich vereinbarungsgemäß weitere 500 000 Reichsmark als Sicherheit für eventuell noch bestehende Forderungen gege die Firma Joel einbehalten... Den Rest des Kaufpreises, 1,14 Millionen Reichsmark, entrichtete ich auf ein Treuhandkonto beim Bankhaus Hardy & Co in Berlin. Es stellte sich heraus, daß Joel davon wenig oder gar nichts zu sehen bekommen hat... Wie ich später erfuhr, mußte Tillmann am 6. September 1938 in die Schweiz berichten, daß alle Vermögenswerte Joels beschlagnahmt worden seien." Motto Neckermann: "Gute Ware zu billigen Preisen".
Stechen: Karl und Meta Joel haben in New York ein kleines Geschäft eröffnet, in dem sie Haarschleifen herstellen und verkaufen. Ihr Sohn Howard arbeitet als Ingenieur bei General Electric in Europa, die Enkelkinder Billy und Judith Ann wohnen bei ihrer Mutter in Hicksville. Billy spielt ganz gut Klavier, Familientradition. Anfang der fünfziger Jahre beauftragt die Familie Joel einen Anwalt mit der Einreichung eines Rückerstattungsbegehrens. Im Januar 1955 wird ein Vergleich geschlossen: Die Neckermann-Versand KG erklärt sich bereit, eine Zahlung von zwei Millionen DM an Joel zu leisten. Dabei wird auch geklärt, welche Kaufsumme Josef Neckermann im September 1938 auf welches Konto geleistet hat: 1 079 960,70 RM, eingezahlt auf ein Konto unter dem Titel "Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann, Sonderrechnung Joel" bei der Hardy-Bank. Josef Neckermann behauptet, über das Konto nie verfügt zu haben, Karl Joel konnte nachweislich nicht darüber verfügen, er galt als 'Devisenausländer', dessen Vermögen beschlagnahmt wurde. Karl Joel leitet rechtliche Schritte gegen das Bankhaus ein.
Auftritt: Rechtsanwalt Dr. Kuboschok, Rechtsberater des Versanhauses Quelle, dessen Besitzer, Gustav Schickedanz*, ehemals ebenso frühes SA-Mitglied, eine Chance wittert, der Konkurrenz Unannehmlichkeiten zu bereiten. Dr. Kuboschok findet einen Brief vom 15. September 1938, in dem Josef Neckermann schreibt: "Ðber das Konto bleibe ich verfügungsberechtigt, so lange ich Ihnen nicht andere Weisung zugehen lasse." Das heißt: Er hat am 15. September 1938 ein Konto über die Kaufsumme eingerichtet. nachdem Joel am 6. September 1938 enteignet worden war. Die Klage Joels gegen das Bankhaus Hardy scheitert. Motto Neckermann: "Gewußt wie, darauf kommt es immer an".
1933 existieren in Deutschland 100 000 jüdische Betriebe, im April 1938 sind es noch 39 532. Anfang 1933 gibt es mehr als 500 000 jüdische Geschäfte im Juli 1938 noch 9000, davon 3637 in Berlin. Am 17.1.1939 ist die Arisierung abgeschlossen. Brief eines Münchner Kaufmanns, Nationalsozialist, SA-Mann, am 16. April 1938 an die Industrie- und Handelskammer München: Ich kann nicht mehr zusehen, "in welch schamloser Weise von vielen 'arischen' Geschäftsleuten, Unternehmern etc. versucht wird..., die jüdischen Geschäfte, Fabriken etc. möglichst wohlfeil und um einen Schundpreis zu erraffen. Die Leute kommen mir vor wie die Aasgeier, die sich mit triefenden Augen und heraushängender Zunge auf jüdische Kadaver stürzen." Josef Neckermann: "Unter den gegebenen Umständen hielt sich Joel tapfer."
aus: Wie es da schon riecht!
Weltstar Billy Joel kommt nach Nürnberg. Am 4. und 5. Juni tritt er in der Stadt seiner Vater zu "Questions & Answers" an. Ein Familienbesuch zu Pfingsten, der tief an die braunen Wurzeln deutscher Geschichte rührt.
Von Konrad Heidkamp - DIE ZEIT Nr. 23 (Feuilleton), 2. Juni 1995
Update: ... als audio bei radioBERLIN 88,8
Und Billy Joel selbst im Gespräch mit dem Publikum: Billy Joel - Why Vienna?
* "1927 gründete Schickedanz das Versandhaus Quelle und orientierte sich dabei an der amerikanischen Idee des Versandhandels. Das Versandhaus modifizierte er den deutschen Verhältnissen entsprechend, um den Verbrauchergewohnheiten Rechnung zu tragen. Dabei setzte er von Anfang an auf die Maxime „Qualität zu einem angemessenen Preis“. 1935 erwarb Schickedanz die Rechte an der Marke Tempo und die Vereinigten Papierwerke in Nürnberg. 1939 erreichte das Versandhaus Quelle einen Umsatz von 40 Millionen Reichsmark...
Schickedanz trat im November 1932 fern seiner Heimatstadt im Badischen der NSDAP bei und war ab 1935 Ratsherr in seiner Heimatstadt Fürth. Die Vereinigten Papierwerke, die Brauerei Geismann und weitere Firmen konnte Schickedanz wahrscheinlich aufgrund seiner Parteizugehörigkeit während des NS-Regimes weit unter dem tatsächlichen Wert von den ehemaligen jüdischen Besitzern im Zuge der Arisierung erwerben. ("wahrscheinlich" ist wikipediamäßig gut gesagt: Gustav Schickedanz und die »Arisierungen« !!)
Er war bis 1948 inhaftiert, sein Vermögen war größtenteils beschlagnahmt und es war ihm verboten, sein Unternehmen zu leiten und zu betreten. Im Entnazifizierungsverfahren wurde Schickedanz durch die Hauptspruchkammer Nürnberg im März 1949 als „Mitläufer“ eingestuft... Mit seiner zweiten Ehefrau Grete Schickedanz, die seit 1927 seine Angestellte war, brachte er das Unternehmen nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem bei einem Luftangriff am 16. März 1945 die Lager in Fürth zerstört wurden, wieder auf Erfolgskurs..."
- Wie gesagt: wikipediamäßig gequirlte Des-/Information, aber immerhin ...
Neckermann kam irgendwann zu Karstadt-Quelle = Arcandor, wurde 2006 zu neckermann.de und 2008 zu 51 Prozent an das Beteiligungsunternehmen Sun Capital verschenkt. Karstadt war durch die Übernahme von Hertie an den Arisierungen beteiligt - und wie alles zusammenhängt, erklärt Otto Köhler:
Die arische Warenhaus AG. Teil I: Karstadt und die Privatbank Sal. Oppenheim
Die arische Warenhaus AG. Teil II (und Schluß): Des Professors Otto Beisheim Traum von einem europäischen Monopol
Das kann man alles wissen und so hätte ich eine Bitte : Man möge uns endlich in Ruhe lassen mit den Wirtschaftswunder-Mythen von Josef und Grete und Gustav ...
Aus dieser Serie:
Deutsche Unternehmer: Heute: Maria-Elisabeth und Thomas - oder Zähne und Zahnersatz
Deutsche Unternehmer: Heute: Willi und Fritz, Adolph, Ludwig, Philipp und Jutta
"Im Jahre 1927 hatten sich der Nürnberger Karl Amson Joel und seine Frau 10 000 Reichsmark zusammengespart. Mit diesem bescheidenen Vermögen begründeten sie einen kleinen Wäscheversand." So beschaulich beginnt das Kapitel "Nach Berlin!" in den "Erinnerungen des Josef Neckermann". Er selbst, Sohn des größten bayerischen Kohlehändlers und Ehemann einer Frau aus neureichem Autohandel, war nie Antisemit, lebte aber nach dem Grundsatz: "Wenn ich es nicht tue, macht's ein anderer." Und es wird die normalste und deshalb grauenhafteste Geschichte im Schnittpunkt von Egoismus und Zeitgeist, von blanker Habgier und arischem Wahnsinn. Hand in Hand. Hier wird keiner gefoltert und ins KZ geschickt, hier sitzen sie nur und warten darauf, daß einer zusammenbricht und aufgibt. Josef Neckermann ist sich in seinen verblüffend offenen "Erinnerungen" seines Rechts so sicher, daß Helmut Joel sechzig Jahre später nur resignierend mit der Schulter zuckt.
Einreiten: Josef Neckermann, geboren am 5. Juni 1912 in Würzburg, konnte, wie die meisten, nichts dafür. Ein junger, aufstrebender Kaufmannssohn, der der Reiter-SA beitrat ("allerdings ohne es recht zu bemerken", J.N.) und froh war, daß sein Schwiegervater "seine ursprüngliche Begeisterung für den Nationalsozialismus auf ein normaldeutsches Maß zurückschraubte". Glückliche Fügung, daß er zwi jüdische Kaufhäuser in Würzburg billig erwerben konnte, trotz des Protestes seiner Mutter (Musch: "Jüdische Warenhäuser, ich bitte Dich! Wie es da schon riecht!"). Nachdem die SA zwei Jahre lang Kunden angepöbelt und photografiert hat, verschiedene Warenkategorien verboten wurden und die Dresdner Bank plötzlich keinen Kredit mehr gewähren konnte, dafür auf Rückzahlung des alten Darlehens drängte, kam Neckermann zu Hilfe - er kaufte. 1935 "Ruschkewitz" und "Merkur", dann 1937 das gegenüberliegende Spezialgeschäft "Vetter", "das vom Vorbesitzer arisiert worden war. Ein guter Fischzug" (J.N.). Motto Neckermann: "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit."
Die Dressur: "Neben "Witt Weiden", Gustav Schickedanz' "Quelle" und "Schöpflin" gehörte Karl Joels Wäsche- und Konfektionsversandhaus zu den Großen der Branche. Mit Stoffresten hatte es begonnen, die Adressenkartei wuchs, die Vierzimmerwohnung in der Uhlandstraße erwies sich bald als zu eng, eine eigene Näherei wurde eingerichtet, das Angebot auf Konfektion erweitert, das Versandunternehmen Joel begann zu blühen. Josef Neckermann: "Karl Amson Joels Unternehmen hatte nur zwei Haken: Er war Jude, und er hatte sich als Firmensitz ausgerechnet die Stadt Nürnberg ausgesucht, die Stadt des berüchtigten Julius Streicher." 1934 entschloß sich karl Joel, sein Unternehmen nach Berlin zu verlegen, die Näherei verblieb in Nürnberg. Das verschaffte ihm eine Gnadenfrist von vier Jahren, begünstigt durch die taktierende Wirtschaftspolitik Hermann Görings und die Fürsprache Fritz Tillmanns, Parteigenosse, Stadtrat, Chef des Wirtschaftsberatungsamts und Tuchfabrikant. Die Schikanen verschärften sich auch hier: Arier in die Geschäftsleitung, Boykott durch arische Zulieferfirmen, immer wieder Verhaftungen, Kennzeichnung der Pakete mit einem "J", Verbot, in Zeitungen zu inserieren. Als am 26. April 1938 eine "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" über 5000 Reichsmark und die "Arisierung jüdischer Wirtschaftsbetriebe" beschlossen wird, gibt Karl Joel auf. Er will verkaufen.
Josef Neckermann: "Ich bat meinen Schwiegervater, sich umzuhören, ob nicht vielleicht irgendwo ein Versandhaus zum Verkauf stünde. Etwa drei Millionen wollte ich dafür ausgeben." So viel mußte er gar nicht anlegen. Das Versandhaus, dessen Konfektionsumsatz Neckermann für 1937 mit einer Million monatlich angibt, dessen Gesamtjahresumsatz für 1938 er zwei Buchseiten später mit vier Millionen beziffert, wird immer billiger. Am 11. Juli 1938 unterzeichnen Karl Joel und Josef Neckermann den Verkaufsvertrag. Am 1. September soll Neckermann den Betrieb übernehmen. Karl Joel verliert die Nerven und flieht in die Schweiz. Und es wird noch billiger.
Josef Neckermann: "Das Inventar wurde statt wie vorgesehen mit 200 000 nur mit 5300 Reichsmark bewertet. Von dem seinerzeit vereinbarten Kaufpreis von 2,3 Millionen, von dem die Verbindlichkeiten und Lieferantenverpflichtungen der Firma Joel abgezogen wurden, habe ich vereinbarungsgemäß weitere 500 000 Reichsmark als Sicherheit für eventuell noch bestehende Forderungen gege die Firma Joel einbehalten... Den Rest des Kaufpreises, 1,14 Millionen Reichsmark, entrichtete ich auf ein Treuhandkonto beim Bankhaus Hardy & Co in Berlin. Es stellte sich heraus, daß Joel davon wenig oder gar nichts zu sehen bekommen hat... Wie ich später erfuhr, mußte Tillmann am 6. September 1938 in die Schweiz berichten, daß alle Vermögenswerte Joels beschlagnahmt worden seien." Motto Neckermann: "Gute Ware zu billigen Preisen".
Stechen: Karl und Meta Joel haben in New York ein kleines Geschäft eröffnet, in dem sie Haarschleifen herstellen und verkaufen. Ihr Sohn Howard arbeitet als Ingenieur bei General Electric in Europa, die Enkelkinder Billy und Judith Ann wohnen bei ihrer Mutter in Hicksville. Billy spielt ganz gut Klavier, Familientradition. Anfang der fünfziger Jahre beauftragt die Familie Joel einen Anwalt mit der Einreichung eines Rückerstattungsbegehrens. Im Januar 1955 wird ein Vergleich geschlossen: Die Neckermann-Versand KG erklärt sich bereit, eine Zahlung von zwei Millionen DM an Joel zu leisten. Dabei wird auch geklärt, welche Kaufsumme Josef Neckermann im September 1938 auf welches Konto geleistet hat: 1 079 960,70 RM, eingezahlt auf ein Konto unter dem Titel "Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann, Sonderrechnung Joel" bei der Hardy-Bank. Josef Neckermann behauptet, über das Konto nie verfügt zu haben, Karl Joel konnte nachweislich nicht darüber verfügen, er galt als 'Devisenausländer', dessen Vermögen beschlagnahmt wurde. Karl Joel leitet rechtliche Schritte gegen das Bankhaus ein.
Auftritt: Rechtsanwalt Dr. Kuboschok, Rechtsberater des Versanhauses Quelle, dessen Besitzer, Gustav Schickedanz*, ehemals ebenso frühes SA-Mitglied, eine Chance wittert, der Konkurrenz Unannehmlichkeiten zu bereiten. Dr. Kuboschok findet einen Brief vom 15. September 1938, in dem Josef Neckermann schreibt: "Ðber das Konto bleibe ich verfügungsberechtigt, so lange ich Ihnen nicht andere Weisung zugehen lasse." Das heißt: Er hat am 15. September 1938 ein Konto über die Kaufsumme eingerichtet. nachdem Joel am 6. September 1938 enteignet worden war. Die Klage Joels gegen das Bankhaus Hardy scheitert. Motto Neckermann: "Gewußt wie, darauf kommt es immer an".
1933 existieren in Deutschland 100 000 jüdische Betriebe, im April 1938 sind es noch 39 532. Anfang 1933 gibt es mehr als 500 000 jüdische Geschäfte im Juli 1938 noch 9000, davon 3637 in Berlin. Am 17.1.1939 ist die Arisierung abgeschlossen. Brief eines Münchner Kaufmanns, Nationalsozialist, SA-Mann, am 16. April 1938 an die Industrie- und Handelskammer München: Ich kann nicht mehr zusehen, "in welch schamloser Weise von vielen 'arischen' Geschäftsleuten, Unternehmern etc. versucht wird..., die jüdischen Geschäfte, Fabriken etc. möglichst wohlfeil und um einen Schundpreis zu erraffen. Die Leute kommen mir vor wie die Aasgeier, die sich mit triefenden Augen und heraushängender Zunge auf jüdische Kadaver stürzen." Josef Neckermann: "Unter den gegebenen Umständen hielt sich Joel tapfer."
aus: Wie es da schon riecht!
Weltstar Billy Joel kommt nach Nürnberg. Am 4. und 5. Juni tritt er in der Stadt seiner Vater zu "Questions & Answers" an. Ein Familienbesuch zu Pfingsten, der tief an die braunen Wurzeln deutscher Geschichte rührt.
Von Konrad Heidkamp - DIE ZEIT Nr. 23 (Feuilleton), 2. Juni 1995
Update: ... als audio bei radioBERLIN 88,8
Und Billy Joel selbst im Gespräch mit dem Publikum: Billy Joel - Why Vienna?
* "1927 gründete Schickedanz das Versandhaus Quelle und orientierte sich dabei an der amerikanischen Idee des Versandhandels. Das Versandhaus modifizierte er den deutschen Verhältnissen entsprechend, um den Verbrauchergewohnheiten Rechnung zu tragen. Dabei setzte er von Anfang an auf die Maxime „Qualität zu einem angemessenen Preis“. 1935 erwarb Schickedanz die Rechte an der Marke Tempo und die Vereinigten Papierwerke in Nürnberg. 1939 erreichte das Versandhaus Quelle einen Umsatz von 40 Millionen Reichsmark...
Schickedanz trat im November 1932 fern seiner Heimatstadt im Badischen der NSDAP bei und war ab 1935 Ratsherr in seiner Heimatstadt Fürth. Die Vereinigten Papierwerke, die Brauerei Geismann und weitere Firmen konnte Schickedanz wahrscheinlich aufgrund seiner Parteizugehörigkeit während des NS-Regimes weit unter dem tatsächlichen Wert von den ehemaligen jüdischen Besitzern im Zuge der Arisierung erwerben. ("wahrscheinlich" ist wikipediamäßig gut gesagt: Gustav Schickedanz und die »Arisierungen« !!)
Er war bis 1948 inhaftiert, sein Vermögen war größtenteils beschlagnahmt und es war ihm verboten, sein Unternehmen zu leiten und zu betreten. Im Entnazifizierungsverfahren wurde Schickedanz durch die Hauptspruchkammer Nürnberg im März 1949 als „Mitläufer“ eingestuft... Mit seiner zweiten Ehefrau Grete Schickedanz, die seit 1927 seine Angestellte war, brachte er das Unternehmen nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem bei einem Luftangriff am 16. März 1945 die Lager in Fürth zerstört wurden, wieder auf Erfolgskurs..."
- Wie gesagt: wikipediamäßig gequirlte Des-/Information, aber immerhin ...
Neckermann kam irgendwann zu Karstadt-Quelle = Arcandor, wurde 2006 zu neckermann.de und 2008 zu 51 Prozent an das Beteiligungsunternehmen Sun Capital verschenkt. Karstadt war durch die Übernahme von Hertie an den Arisierungen beteiligt - und wie alles zusammenhängt, erklärt Otto Köhler:
Die arische Warenhaus AG. Teil I: Karstadt und die Privatbank Sal. Oppenheim
Die arische Warenhaus AG. Teil II (und Schluß): Des Professors Otto Beisheim Traum von einem europäischen Monopol
Das kann man alles wissen und so hätte ich eine Bitte : Man möge uns endlich in Ruhe lassen mit den Wirtschaftswunder-Mythen von Josef und Grete und Gustav ...
Aus dieser Serie:
Deutsche Unternehmer: Heute: Maria-Elisabeth und Thomas - oder Zähne und Zahnersatz
Deutsche Unternehmer: Heute: Willi und Fritz, Adolph, Ludwig, Philipp und Jutta
gebattmer - 2009/09/03 20:19
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