„Beutezug Ost" – Sarrazin, die Treuhand und die Abwicklung der DDR
via nds:
Frontal21 Beutezug OST
Zur Erinnerung:
Am Tag nach der Grenzöffnung formulierte
Am 21. Dezember, rechtzeitig vor der Weihnachtspause, eröffnete Sarrazin einen Weg ... zur Einheit, die er später so definierte: »Dieser zweite – der offensive Lösungsweg – endete stringent durchdacht, bei der Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion zum frühestmöglichen Zeitpunkt.«
Am 9. Januar forderte Finanzminister Waigel eine Stellungnahme des Hauses von Köhler an, und Sarrazin legte schon am nächsten Tag einen Vermerk vor, mit dem er die bisherigen Pläne zu einer Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR ad acta legte. Es bleibe nur noch eine »ganz andere Form von Währungsunion« formulierte er mit Köhlers Billigung: »die Aufnahme der DDR als wirtschaftspolitischer Pflegefall«.
Später, 1995, gestand Horst Köhler in einem Interview – es trug den generösen Titel »Ich kann den Verdruß verstehen« – mit der Zeit: »Hinterher ist man immer schlauer. Sie dürfen nicht vergessen: die Wirtschafts- und Währungsunion war eine Sturzgeburt.«
... Es gab noch einen Dritten: Gert Haller, Leiter der Abteilung Geld und Kredit, mit Köhler so gut befreundet, daß er später – bis zur Pensionierung aus Altersgründen – sein Staatssekretär im Bundespräsidialamt wurde. Mitte Januar 1990 setzte sich Köhler mit Haller und Sarrazin zusammen. Sie überlegten. Soll man die DDR-Mark stabilisieren? Mit festen Kursen konvertibel machen? Unsinn. Haller, der während der Weihnachtsferien grübelnd durch den deutschen Wald spaziert war, hat die Idee: »Was wäre, wenn wir keine Währungsreform im eigentlichen Sinne machen, sondern die D-Mark in die DDR bringen?«
... Das Problem war doch, so bekannte Haller später: »Die weitreichenden Überlegungen, den Anschluß der DDR über den Artikel 23 des Grundgesetzes herzustellen, durfte man überhaupt nicht in den Mund nehmen.« Schlimmer noch: »Das Wort ›Anschluß‹ war tabu, weil man befürchtete, mit solchen Vokabeln würde die Aufbruchstimmung in der DDR massiv beeinträchtigt.«
... Schon in der zweiten Hälfte des Januar 1990 war im Eiltempo ausgebrütet, was Sarrazin später so skizzierte: »Währungseinheit sehr schnell, aber zeitgleich mit umfassender und vollständiger Einführung der Marktwirtschaft.«
Sarrazin gestand: »Die Überlegung war kühn und für den typischen Denkstil eines Finanzministeriums geradezu unerhört.«
Aber der Komplize hat diesen Denkstil mit seiner Hilfe überwunden, Sarrazin: »Nach vielen Diskussionen erhielt ich schließlich von Dr. Köhler den Auftrag, das Konzept im Zusammenhang zu Papier zu bringen.«
Sarrazins Papier
Am 29. Januar 1990 hatte Sarrazin Köhlers Auftrag erfüllt und einen Plan vorgelegt, die DDR schleunigst in den Machtbereich der D-Mark einzugliedern. Was da entstand, hat das Leben Millionen Ostdeutscher verändert. »Sarrazins Papier spielte eine Schlüsselrolle in der Geschichte der Wirtschafts- und Währungsunion«, räumt 2006 auch der westdeutsche Historiker Andreas Wirsching in seinem »Abschied vom Provisorium« ein.
Sarrazin nannte sein Papier »Vorschlag zur unverzüglichen Einführung der D-Mark in der DDR im Austausch gegen Reformen.« Der Vorschlag wurde dank Köhlers Beihilfe zum »Grundsatzpapier« des Finanzministeriums erhoben.
Es traf dann fast alles ein. Das Papier: »Mit der schlagartigen Einbeziehung der DDR-Wirtschaft in den D-Mark-Wirtschafts- und Währungsraum gewinnt der Reformprozeß eine neue gänzlich anders geartete Qualität: Die hirnzermarternden, fast unlösbaren Fragen, wie in einem planwirtschaftlichen System zügig und ohne zu große soziale Kosten ein funktionierendes Preissystem, Wettbewerb, ein funktionierender Kapitalmarkt verwirklicht werden können, lösen sich in ein Nichts auf, denn mit dem Tage der Umstellung ist dies alles da.«
Andere Probleme, kleinere soziale Kosten, mag es da noch geben, Arbeitslosigkeit etwa: Sie ist fest eingeplant für den Osten in dem von Köhler in Auftrag gegebenen und gebilligten Sarrazin-Papier: Wer arbeitslos wird – oder wie Horst Köhler auch gern sagt – »freigesetzt« werden muß, das bestimmt ganz objektiv die westdeutsche Statistik für die Ostdeutschen.
Deren Industriesektor sei, das ist ganz gewiß, »künstlich überdimensioniert«. Denn: »Hier arbeiten in der DDR 3,48 Millionen Erwerbstätige, das sind 20,9 v. H. der Wohnbevölkerung. In der Bundesrepublik liegt dagegen die vergleichbare Zahl nur bei 14,2 v.H. der Wohnbevölkerung.«
Noch bevor »zusammenwuchs, was zusammengehört« (Willy Brandt), plädierte Sarrazin für jene Gleichheit der Lebensverhältnisse bei der Arbeitslosigkeit, die Horst Köhler später als Bundespräsident beim Lebensstandard für Mutterland und Beitrittsgebiet weniger gern hatte. Darum den Stiefel ins Genick der ehemaligen Brüder und Schwestern: »Hier wird und muß es erhebliche Freisetzungen geben. Bei Freisetzungen im Umfang von ca. 35 bis 40 v.H. der Industriebeschäftigten wäre der in der Bundesrepublik übliche Anteil der Industriebeschäftigten an der Wohnbevölkerung erreicht.«
Und damit arbeiteten Köhler und Sarrazin, von nun an, bis aus den »Industriebeschäftigten« in der DDR ganz schnell Menschen im Anschlußgebiet und schließlich am Ende ihrer Entwicklung folgsame Hartzviermenschen geworden waren.
Allerdings machten sie noch am 25. Juni 1990 – fünf Tage, bevor die D-Mark kam – im Kabinettsausschuß »Deutsche Einheit« deutliche »Bedenken gegen eine uneingeschränkte Überleitung der Bundesgesetzgebung geltend, soweit Leistungen sowie Sach- und Verwaltungskosten damit verbunden wären.«
»Freisetzen«.
Aber Arbeitslosengeld eher nicht. Jedenfalls nicht aus der Staatskasse. Das wurde dann – ein tiefer Griff – der westdeutschen Arbeitslosenversicherung entnommen, in die die Ostdeutschen nie einbezahlt hatten. Sarrazin hatte richtig prognostiziert, und die Freigesetzten in Ost und schließlich auch die in West tragen Reformpullover und füttern sich mit Sarrazin-Menü. Das sind Kosten der Einheit.
»Die Frage der Kosten der Einheit, so bedeutend sie für sich genommen war, hatte für mich«, so Sarrazin später, »stets akzessorischen Charakter«. Nur akzessorisch. Hinzutretend. Nebensächlich. Weniger wichtig.
Wichtig war etwas anderes. Die Klandestinität aller Pläne zur Einverleibung der Ostdeutschen mußte strikt gewahrt werden. Schließlich gab es auch im Westen Leute, die Alarm schlagen könnten. Sarrazin: »Alle Überlegungen fanden damals zunächst noch in strengster Vertraulichkeit statt, ohne Beteiligung eines anderen Ressorts, auch nicht der Bundesbank.«
Sogar ohne Beteiligung des Ministers? Am selben 29. Januar 1990, an dem Sarrazin seinem Staatssekretär das Papier vorlegte, das Köhler billigte, verkündet der Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag: »Waigel: Für eine Währungsunion ist es zu früh«. Die Einführung der D-Mark löse »keine realwirtschaftlichen Probleme«, vielmehr werde dadurch der »desolate Zustand der DDR erst richtig offenbart«. Der Effekt dieses »falschen Signals« sei deshalb nicht die Beendigung, sondern die Beschleunigung des Exodus.
Doch da kam der 30. Januar des Bundesfinanzministeriums. »Der Wendepunkt hin zu dieser Währungsunion als konkreter und lösbarer Aufgabe war aus meiner Sicht eine Klausurtagung der Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium am 30. Januar 1990.« Das schreibt Peter Klemm, ebenso wie Köhler Staatssekretär im Finanzministerium. Er bestätigt, daß es »bereits in der Vorphase« eine »sehr grundsätzliche Verständigung« zwischen den Ressorts und Abteilungen gegeben habe, was »vor allem das Verdienst von Staatssekretär Horst Köhler« gewesen sei.
Er hatte alles schon sorgsam vorbereitet. Staatssekretär Klemm: »Auch wenn danach noch einige äußerst schwierige Streitpunkte zu klären waren, konnte bei allen Problemen im Detail der zuvor abgesteckte Rahmen unseres Entwurfs gewahrt werden.«
Horst Köhler hat sich durchgesetzt mit seinem von Sarrazin ausgearbeiteten Plan zur »schlagartigen Einbeziehung«, zur Eroberung der DDR durch die D-Mark.
Von nun an geht alles immer schneller. Am 31. Januar 1990 offenbart Kohl seinem schwarzgelben Kabinett, daß er nichts mehr von einer Vertragsgemeinschaft mit der DDR wissen wolle. Und kündigt – statt dessen – die »Ausarbeitung eines weitergehenden Konzeptes« an. Er nannte auch das einen »Stufenplan«, aber einen, »dessen letzte Stufe der deutsch-deutschen Einigung schon sehr kurzfristig und plötzlich erreicht werden könnte«.
Allzu kurzfristig, allzu plötzlich. Mit dem Tag der von Köhler und Sarrazin angestoßenen Währungsunion krachte die Wirtschaft der DDR zusammen. Das sei so ähnlich, sprach damals Bundesbankchef Karl Otto Pöhl, »als wenn man heute die D-Mark in Österreich einführen und den Schilling 1:1 umstellen würde.« Österreichs Wirtschaft – damals war das Währungsverhältnis 1:7 – wäre nur noch Schrott...
Otto Köhler: Der Freund, der gute Freund
Nachtrag SupperIllu vom 07.07.2010:
Sarrazin enthüllt, warum es keine andere Möglichkeit gab, als 1:1 umzustellen (... und dass keine wissen konnte, dass dann die DDR-Wirtschaft zusammenbrechen würde!!):
Dachten Sie da schon an Währungsunion?
Anfang Dezember wurde mir jedenfalls klar, dass alle Modelle, die man bisher entwickelt hatte, um der DDR zu helfen, nicht funktionieren würden.
Warum?
Damals konnte eine westdeutsche Familie mit etwa 700 bis 800 D-Mark Sozialhilfe rechnen. Der Umtauschkurs zwischen DDR-Mark und D-Mark betrug 7:1. Es musste also nur jemand von Magdeburg nach Braunschweig fahren, dort einen Wohnsitz anmelden und Sozialhilfe beziehen, tatsächlich aber weiter im Osten leben, um mit dem getauschten Geld ein Einkommen von etwa 5000 bis 6000 DDR-Mark zu erzielen. Ein absolut rationales Verhalten. Dass erst wenige DDR-Bürger dies entdeckt hatten, hieß ja nicht, dass es ewig so bleiben würde.
... Hinzu kam der von niemandem so vorausgesehene Zusammenbruch des Handels mit der Sowjetunion...
Endlich sagt's mal einer: Sozialhilfemissbrauch als Ursache des Zusammenbruchs der DDR-Ökonomie (auch wenn der Ossi noch zu doof war, drauf zu kommen ....)!!
Ansonsten: viele weitere nützliche Informationen zu Sarrazin hier:
Brandsätze - Gegen den Extremismus der Mitte
Analyse – Die seltsamen Methoden des Thilo Sarrazin
Frontal21 Beutezug OST
Zur Erinnerung:
Am Tag nach der Grenzöffnung formulierte
Sarrazin
zusammen mit Horst Köhler ein Schreiben von Minister Waigel an Bundeskanzler Kohl über »mögliche Hilfsmaßnahmen«. Der »Akt der Formulierung«, so erinnert sich Sarrazin, »war die erste von ungezählten geistigen Fingerübungen im Lauf der nächsten Monate, die schließlich im Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion mündeteten.«Am 21. Dezember, rechtzeitig vor der Weihnachtspause, eröffnete Sarrazin einen Weg ... zur Einheit, die er später so definierte: »Dieser zweite – der offensive Lösungsweg – endete stringent durchdacht, bei der Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion zum frühestmöglichen Zeitpunkt.«
Am 9. Januar forderte Finanzminister Waigel eine Stellungnahme des Hauses von Köhler an, und Sarrazin legte schon am nächsten Tag einen Vermerk vor, mit dem er die bisherigen Pläne zu einer Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR ad acta legte. Es bleibe nur noch eine »ganz andere Form von Währungsunion« formulierte er mit Köhlers Billigung: »die Aufnahme der DDR als wirtschaftspolitischer Pflegefall«.
Später, 1995, gestand Horst Köhler in einem Interview – es trug den generösen Titel »Ich kann den Verdruß verstehen« – mit der Zeit: »Hinterher ist man immer schlauer. Sie dürfen nicht vergessen: die Wirtschafts- und Währungsunion war eine Sturzgeburt.«
... Es gab noch einen Dritten: Gert Haller, Leiter der Abteilung Geld und Kredit, mit Köhler so gut befreundet, daß er später – bis zur Pensionierung aus Altersgründen – sein Staatssekretär im Bundespräsidialamt wurde. Mitte Januar 1990 setzte sich Köhler mit Haller und Sarrazin zusammen. Sie überlegten. Soll man die DDR-Mark stabilisieren? Mit festen Kursen konvertibel machen? Unsinn. Haller, der während der Weihnachtsferien grübelnd durch den deutschen Wald spaziert war, hat die Idee: »Was wäre, wenn wir keine Währungsreform im eigentlichen Sinne machen, sondern die D-Mark in die DDR bringen?«
... Das Problem war doch, so bekannte Haller später: »Die weitreichenden Überlegungen, den Anschluß der DDR über den Artikel 23 des Grundgesetzes herzustellen, durfte man überhaupt nicht in den Mund nehmen.« Schlimmer noch: »Das Wort ›Anschluß‹ war tabu, weil man befürchtete, mit solchen Vokabeln würde die Aufbruchstimmung in der DDR massiv beeinträchtigt.«
... Schon in der zweiten Hälfte des Januar 1990 war im Eiltempo ausgebrütet, was Sarrazin später so skizzierte: »Währungseinheit sehr schnell, aber zeitgleich mit umfassender und vollständiger Einführung der Marktwirtschaft.«
Sarrazin gestand: »Die Überlegung war kühn und für den typischen Denkstil eines Finanzministeriums geradezu unerhört.«
Aber der Komplize hat diesen Denkstil mit seiner Hilfe überwunden, Sarrazin: »Nach vielen Diskussionen erhielt ich schließlich von Dr. Köhler den Auftrag, das Konzept im Zusammenhang zu Papier zu bringen.«
Sarrazins Papier
Am 29. Januar 1990 hatte Sarrazin Köhlers Auftrag erfüllt und einen Plan vorgelegt, die DDR schleunigst in den Machtbereich der D-Mark einzugliedern. Was da entstand, hat das Leben Millionen Ostdeutscher verändert. »Sarrazins Papier spielte eine Schlüsselrolle in der Geschichte der Wirtschafts- und Währungsunion«, räumt 2006 auch der westdeutsche Historiker Andreas Wirsching in seinem »Abschied vom Provisorium« ein.
Sarrazin nannte sein Papier »Vorschlag zur unverzüglichen Einführung der D-Mark in der DDR im Austausch gegen Reformen.« Der Vorschlag wurde dank Köhlers Beihilfe zum »Grundsatzpapier« des Finanzministeriums erhoben.
Es traf dann fast alles ein. Das Papier: »Mit der schlagartigen Einbeziehung der DDR-Wirtschaft in den D-Mark-Wirtschafts- und Währungsraum gewinnt der Reformprozeß eine neue gänzlich anders geartete Qualität: Die hirnzermarternden, fast unlösbaren Fragen, wie in einem planwirtschaftlichen System zügig und ohne zu große soziale Kosten ein funktionierendes Preissystem, Wettbewerb, ein funktionierender Kapitalmarkt verwirklicht werden können, lösen sich in ein Nichts auf, denn mit dem Tage der Umstellung ist dies alles da.«
Andere Probleme, kleinere soziale Kosten, mag es da noch geben, Arbeitslosigkeit etwa: Sie ist fest eingeplant für den Osten in dem von Köhler in Auftrag gegebenen und gebilligten Sarrazin-Papier: Wer arbeitslos wird – oder wie Horst Köhler auch gern sagt – »freigesetzt« werden muß, das bestimmt ganz objektiv die westdeutsche Statistik für die Ostdeutschen.
Deren Industriesektor sei, das ist ganz gewiß, »künstlich überdimensioniert«. Denn: »Hier arbeiten in der DDR 3,48 Millionen Erwerbstätige, das sind 20,9 v. H. der Wohnbevölkerung. In der Bundesrepublik liegt dagegen die vergleichbare Zahl nur bei 14,2 v.H. der Wohnbevölkerung.«
Noch bevor »zusammenwuchs, was zusammengehört« (Willy Brandt), plädierte Sarrazin für jene Gleichheit der Lebensverhältnisse bei der Arbeitslosigkeit, die Horst Köhler später als Bundespräsident beim Lebensstandard für Mutterland und Beitrittsgebiet weniger gern hatte. Darum den Stiefel ins Genick der ehemaligen Brüder und Schwestern: »Hier wird und muß es erhebliche Freisetzungen geben. Bei Freisetzungen im Umfang von ca. 35 bis 40 v.H. der Industriebeschäftigten wäre der in der Bundesrepublik übliche Anteil der Industriebeschäftigten an der Wohnbevölkerung erreicht.«
Und damit arbeiteten Köhler und Sarrazin, von nun an, bis aus den »Industriebeschäftigten« in der DDR ganz schnell Menschen im Anschlußgebiet und schließlich am Ende ihrer Entwicklung folgsame Hartzviermenschen geworden waren.
Allerdings machten sie noch am 25. Juni 1990 – fünf Tage, bevor die D-Mark kam – im Kabinettsausschuß »Deutsche Einheit« deutliche »Bedenken gegen eine uneingeschränkte Überleitung der Bundesgesetzgebung geltend, soweit Leistungen sowie Sach- und Verwaltungskosten damit verbunden wären.«
»Freisetzen«.
Aber Arbeitslosengeld eher nicht. Jedenfalls nicht aus der Staatskasse. Das wurde dann – ein tiefer Griff – der westdeutschen Arbeitslosenversicherung entnommen, in die die Ostdeutschen nie einbezahlt hatten. Sarrazin hatte richtig prognostiziert, und die Freigesetzten in Ost und schließlich auch die in West tragen Reformpullover und füttern sich mit Sarrazin-Menü. Das sind Kosten der Einheit.
»Die Frage der Kosten der Einheit, so bedeutend sie für sich genommen war, hatte für mich«, so Sarrazin später, »stets akzessorischen Charakter«. Nur akzessorisch. Hinzutretend. Nebensächlich. Weniger wichtig.
Wichtig war etwas anderes. Die Klandestinität aller Pläne zur Einverleibung der Ostdeutschen mußte strikt gewahrt werden. Schließlich gab es auch im Westen Leute, die Alarm schlagen könnten. Sarrazin: »Alle Überlegungen fanden damals zunächst noch in strengster Vertraulichkeit statt, ohne Beteiligung eines anderen Ressorts, auch nicht der Bundesbank.«
Sogar ohne Beteiligung des Ministers? Am selben 29. Januar 1990, an dem Sarrazin seinem Staatssekretär das Papier vorlegte, das Köhler billigte, verkündet der Pressedienst der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag: »Waigel: Für eine Währungsunion ist es zu früh«. Die Einführung der D-Mark löse »keine realwirtschaftlichen Probleme«, vielmehr werde dadurch der »desolate Zustand der DDR erst richtig offenbart«. Der Effekt dieses »falschen Signals« sei deshalb nicht die Beendigung, sondern die Beschleunigung des Exodus.
Doch da kam der 30. Januar des Bundesfinanzministeriums. »Der Wendepunkt hin zu dieser Währungsunion als konkreter und lösbarer Aufgabe war aus meiner Sicht eine Klausurtagung der Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium am 30. Januar 1990.« Das schreibt Peter Klemm, ebenso wie Köhler Staatssekretär im Finanzministerium. Er bestätigt, daß es »bereits in der Vorphase« eine »sehr grundsätzliche Verständigung« zwischen den Ressorts und Abteilungen gegeben habe, was »vor allem das Verdienst von Staatssekretär Horst Köhler« gewesen sei.
Er hatte alles schon sorgsam vorbereitet. Staatssekretär Klemm: »Auch wenn danach noch einige äußerst schwierige Streitpunkte zu klären waren, konnte bei allen Problemen im Detail der zuvor abgesteckte Rahmen unseres Entwurfs gewahrt werden.«
Horst Köhler hat sich durchgesetzt mit seinem von Sarrazin ausgearbeiteten Plan zur »schlagartigen Einbeziehung«, zur Eroberung der DDR durch die D-Mark.
Von nun an geht alles immer schneller. Am 31. Januar 1990 offenbart Kohl seinem schwarzgelben Kabinett, daß er nichts mehr von einer Vertragsgemeinschaft mit der DDR wissen wolle. Und kündigt – statt dessen – die »Ausarbeitung eines weitergehenden Konzeptes« an. Er nannte auch das einen »Stufenplan«, aber einen, »dessen letzte Stufe der deutsch-deutschen Einigung schon sehr kurzfristig und plötzlich erreicht werden könnte«.
Allzu kurzfristig, allzu plötzlich. Mit dem Tag der von Köhler und Sarrazin angestoßenen Währungsunion krachte die Wirtschaft der DDR zusammen. Das sei so ähnlich, sprach damals Bundesbankchef Karl Otto Pöhl, »als wenn man heute die D-Mark in Österreich einführen und den Schilling 1:1 umstellen würde.« Österreichs Wirtschaft – damals war das Währungsverhältnis 1:7 – wäre nur noch Schrott...
Otto Köhler: Der Freund, der gute Freund
Nachtrag SupperIllu vom 07.07.2010:
Sarrazin enthüllt, warum es keine andere Möglichkeit gab, als 1:1 umzustellen (... und dass keine wissen konnte, dass dann die DDR-Wirtschaft zusammenbrechen würde!!):
Dachten Sie da schon an Währungsunion?
Anfang Dezember wurde mir jedenfalls klar, dass alle Modelle, die man bisher entwickelt hatte, um der DDR zu helfen, nicht funktionieren würden.
Warum?
Damals konnte eine westdeutsche Familie mit etwa 700 bis 800 D-Mark Sozialhilfe rechnen. Der Umtauschkurs zwischen DDR-Mark und D-Mark betrug 7:1. Es musste also nur jemand von Magdeburg nach Braunschweig fahren, dort einen Wohnsitz anmelden und Sozialhilfe beziehen, tatsächlich aber weiter im Osten leben, um mit dem getauschten Geld ein Einkommen von etwa 5000 bis 6000 DDR-Mark zu erzielen. Ein absolut rationales Verhalten. Dass erst wenige DDR-Bürger dies entdeckt hatten, hieß ja nicht, dass es ewig so bleiben würde.
... Hinzu kam der von niemandem so vorausgesehene Zusammenbruch des Handels mit der Sowjetunion...
Endlich sagt's mal einer: Sozialhilfemissbrauch als Ursache des Zusammenbruchs der DDR-Ökonomie (auch wenn der Ossi noch zu doof war, drauf zu kommen ....)!!
Ansonsten: viele weitere nützliche Informationen zu Sarrazin hier:
Brandsätze - Gegen den Extremismus der Mitte
Analyse – Die seltsamen Methoden des Thilo Sarrazin
gebattmer - 2010/09/16 10:16
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