Falsch Gm8 (XII): Bildungsdefizite durch verkürzte Schulzeit (?)
Herr Rau (im Lehrerzimmer) verweist auf Volker Ladenthins Analyse: Was fehlt Studierenden, die schon nach zwölf Schuljahren an die Universitäten kommen? (in der FAZ vom 04.06.) - und die Diskussion dazu bei Familie trifft Schule.
Ich halte Ladenthins Diagnose der veränderten Denkstrukturen von Studierenden (um es zunächst möglichst nicht wertend zu formulieren) für weitgehend zutreffend:
Seine Schlussfolgerung mit Blick auf G8 halte ich für im Ansatz richtig, aber verkürzt:
Das Problem von G8 sind also offensichtlich nicht fehlende Kenntnisse; vielmehr lässt sich ein entwicklungspsychologisches Problem feststellen: Auf Grund der kognitiven Entwicklung scheinen die Studierenden nicht in der Lage zu sein, komplexe, antinomische und multikausale Prozesse, wie sie heute in allen Wissenschaften üblicherweise formuliert werden, angemessen aufzunehmen...
Sicherlich gibt es ein entwicklungspsychologisches Problem, aber das muss früher im Bildungsprozess verortet werden und gewinnt Brisanz erst in der Kombination von Schulzeitverkürzung und falscher Methoden- und Kompetenzorientierung.
Indem einerseits in den G8-Curricula Lerninhalte vorgezogen wurden in Jahrgänge, in denen das formal-operatorische Denken gerade erst sich ausprägt (wenn es hinreichend gefördert wird), und andererseits Unterricht - unter dem Druck des Zentralabiturs - verkürzt wird auf Methoden- und Kompetenzerwerb, dem Inhalte eher gleichgültig sind, gerinnen diese zu Lernstoff, der mit Learning-On-The-Test kurzfristig verfügbar gemacht werden muss, um anschließend vergessen werden zu können. Übrig bleiben leere Schemata, die bis zum Erbrechen zelebriert werden, um im Zentralabitur eine Sachtextanalyse, eine textgebundene Erörterung, ein Sach- und ein Werturteil oder den Nachweis der Hörverstehenskompetenz bar jeden inhaltlichen Interesses an einer Sache hervorbringen zu können. Denken kann man so nicht lernen. (-Ladenthin sieht das an anderer Stelle übrigens auch so!)
Im Bologna-Studium wird das weitergeführt durch das möglichst interesselose Abarbeiten von Modulen, so dass die von Ladenthin beschriebenen Denkfiguren sich als letztlich funktional erweisen, um Situationen, die eigentlich Lernen erfordern, zu bewältigen.
Was Ladenthin diagnostiziert, ist somit wesentlich das Ergebnis bewältigungszentrierten, defensiv sachentbundenen Lernens der Schüler, das ihnen in ihrer schulischen Sozialisation als funktional und effizient vermittelt wird, - auch wenn keine Lehrerin und kein Lehrer das so vermitteln will ....
Vgl. auch: Schule und Persönlichkeit: kein Effekt messbar, - aber was ist schon messbar??
Zum Beweis, wie Messen in die Hose gehen kann: Die WELT und "Die gefährliche Entwertung des deutschen Abiturs".
Und, da wir schon beim Messen sind, die Frage, wie man zu solchen Aussagen kommen kann:
Autoritative Erziehung senkt Suizidrisikobei Jugendlichen
Der erlebte Erziehungsstil in der Kindheit ist entscheidend für spätere psychische Gesundheit
Mitteilung: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ... Zur Studie Is parenting style a predictor of suicide attempts in a representative sample of adolescents? und zur Frage, was eigentlich Autoritative Erziehung ist.
GBlog: Falsch Gm8
Ich halte Ladenthins Diagnose der veränderten Denkstrukturen von Studierenden (um es zunächst möglichst nicht wertend zu formulieren) für weitgehend zutreffend:
- - Die G8-Studierenden können Theorien, die in der Lehre sprachlich einfach dargestellt wurden, angemessen memorieren und reproduzieren. Die eigenständige Erschließung von Theorien aus einfachen wissenschaftlichen Texten ... hingegen fällt ihnen schwer. Wenn es um Thesen aus historischen oder syntaktisch komplexen Texten geht (Humboldt, aber auch Comenius), bedarf es erheblicher Verständnishilfen. Bei diesen Texten fällt auch die Wiedergabe des Gedankenganges in eigenen Worten schwer....
- Die Studierenden sind kaum zu Abstraktionen fähig. Man muss in Beispielen sprechen – und diese werden dann gerne auf Beispielebene diskutiert. Allerdings gelingen dann Verallgemeinerungen kaum und der Transfer gar nicht ...
- Paradoxa („Werde, der du bist!“) oder Antinomien („Wie kultiviere ich Freiheit durch Zwang?“) können kaum selbständig reformuliert werden. Zumeist folgt man dem vorgegebenen Sprachgebrauch. Eigene Beispiele können nicht assoziiert werden. Hypothetische „Wenn-dann“-Beziehungen werden in der Reproduktion zu ontologischen „Weil-also ist es so“-Zuständen verändert: Sie werden also von der konditionalen Aussage zur kausalen Erklärung reduziert und nicht angemessen komplex aufgenommen....
- Moralische Konfliktsituationen (der Konflikt zwischen Familie und Staat im Hinblick auf das Kindeswohl; die Bedeutsamkeit von Normen und eigenem Wollen; die Beschneidung individueller Rechte im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit) werden in jener Stufe 4 gelöst, die Lawrence Kohlberg als die konventionelle bezeichnet ...
- Geltungsansprüche werden so lange anerkannt, wie sie der eigenen Erfahrung entsprechen. Das gilt sogar bei Studierenden der Geisteswissenschaften für wissenschaftliche Aussagen. Literaturinterpretation sei Ansichtssache, jeder könne alles in einem Text lesen; man sehe das halt anders. Auch in moralischen Fragen „sehe jeder das eben anders“. Moral sei, was die Gesellschaft dafür hält; das sei alles anerzogen. Es gebe „eh“ keine Wahrheit. Alles sei Ansichtssache....
Seine Schlussfolgerung mit Blick auf G8 halte ich für im Ansatz richtig, aber verkürzt:
Das Problem von G8 sind also offensichtlich nicht fehlende Kenntnisse; vielmehr lässt sich ein entwicklungspsychologisches Problem feststellen: Auf Grund der kognitiven Entwicklung scheinen die Studierenden nicht in der Lage zu sein, komplexe, antinomische und multikausale Prozesse, wie sie heute in allen Wissenschaften üblicherweise formuliert werden, angemessen aufzunehmen...
Sicherlich gibt es ein entwicklungspsychologisches Problem, aber das muss früher im Bildungsprozess verortet werden und gewinnt Brisanz erst in der Kombination von Schulzeitverkürzung und falscher Methoden- und Kompetenzorientierung.
Indem einerseits in den G8-Curricula Lerninhalte vorgezogen wurden in Jahrgänge, in denen das formal-operatorische Denken gerade erst sich ausprägt (wenn es hinreichend gefördert wird), und andererseits Unterricht - unter dem Druck des Zentralabiturs - verkürzt wird auf Methoden- und Kompetenzerwerb, dem Inhalte eher gleichgültig sind, gerinnen diese zu Lernstoff, der mit Learning-On-The-Test kurzfristig verfügbar gemacht werden muss, um anschließend vergessen werden zu können. Übrig bleiben leere Schemata, die bis zum Erbrechen zelebriert werden, um im Zentralabitur eine Sachtextanalyse, eine textgebundene Erörterung, ein Sach- und ein Werturteil oder den Nachweis der Hörverstehenskompetenz bar jeden inhaltlichen Interesses an einer Sache hervorbringen zu können. Denken kann man so nicht lernen. (-Ladenthin sieht das an anderer Stelle übrigens auch so!)
Im Bologna-Studium wird das weitergeführt durch das möglichst interesselose Abarbeiten von Modulen, so dass die von Ladenthin beschriebenen Denkfiguren sich als letztlich funktional erweisen, um Situationen, die eigentlich Lernen erfordern, zu bewältigen.
Lehren als Lernbehinderung - und Messen als Erkenntnisbehinderung
Klaus Holzkamp hat auf den Unterschied zwischen defensivem und offensivem Lernen aufmerksam gemacht. Ich halte die Kategorien, die er u. a. in seinem Vortrag Lehren als Lernbehinderung? (1990) entwickelt hat, immer noch für unverzichtbar zur Analyse des Lehr-/Lernverhältnisses (vom Standpunkt des Lernsubjekts).Was Ladenthin diagnostiziert, ist somit wesentlich das Ergebnis bewältigungszentrierten, defensiv sachentbundenen Lernens der Schüler, das ihnen in ihrer schulischen Sozialisation als funktional und effizient vermittelt wird, - auch wenn keine Lehrerin und kein Lehrer das so vermitteln will ....
Vgl. auch: Schule und Persönlichkeit: kein Effekt messbar, - aber was ist schon messbar??
Zum Beweis, wie Messen in die Hose gehen kann: Die WELT und "Die gefährliche Entwertung des deutschen Abiturs".
Und, da wir schon beim Messen sind, die Frage, wie man zu solchen Aussagen kommen kann:
Autoritative Erziehung senkt Suizidrisikobei Jugendlichen
Der erlebte Erziehungsstil in der Kindheit ist entscheidend für spätere psychische Gesundheit
Mitteilung: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ... Zur Studie Is parenting style a predictor of suicide attempts in a representative sample of adolescents? und zur Frage, was eigentlich Autoritative Erziehung ist.
GBlog: Falsch Gm8
gebattmer - 2014/06/18 18:58
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