Archäologie (CCCXXIII): ... wie es (in der WELT) zur schlimmsten Niederlage der deutschen Geschichte kam
- nämlich der Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944- erklärt in der WELT vom 25.06.14 ein Oberst Frieser.
Intensiv wie kein Historiker sonst hat der inzwischen pensionierte Oberst Karl-Heinz Frieser, ehemals Abteilungsleiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, den Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte erforscht. Der von ihm herausgegebene achte Band des Standardwerkes "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" über die Ostfront 1943/44 umfasst mehr als 1300 Seiten.*
Ja, so denken sie und leiten Abteilungen im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr!! Lauter schlimme Niederlagen der deutschen Geschichte: die Befreiung Leningrads, die Befreiung Kiews, die Befreiung der Krim und Befreiung Weißusslands und wahrscheinlich auch die Befreiung von Ausschwitz durch die Rote Armee. (Zuweilen scheint es mir fast nötig zu sein, darauf hinzuweisen: Es war nicht die Bundeswehr, die Auschwitz befreit hat!)
Und als Überschrift setzt die WELT noch einen drauf: Warum Stalin den Krieg 1944 nicht beendete ... Fuck me running: In derLogik solcher Leute müsste die Frage eigentlich lauten: Warum wurde Reinhard Gehlen, Chef der deutschen Aufklärungsabteilung Fremde Heere Ost (FHO), die vor dem 22. Juni die komplette sowjetische 6. Garde-Armee im Bereich der 1. Baltischen Front übersehen hatte, wodurch die Führungsebene der Heeresgruppe Mitte diesen Bereich als nicht gefährdet ansah, nicht sofort hingerichtet? Wahrscheinlich, damit er etwas später die SS-Schattenarmeen begleiten und den BND aufbauen konnte, der jetzt ja etwas in Verruf geraten ist als "Wurmfortsatz der NSA". Ich sach mal: Pannen gibt es immer ...
Empfohlen dagegen:
- Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1998 (Link = Leseprobe; rezensiert hier)
- Yehuda Bauer: Der Tod des Schtetls. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2013
Maly Trostenets, Minsk, Belorussia, Corpses of Soviets who were murdered in the death camp during the years 1941-1944.
Gerlach bilanziert einen dramatischen Rückgang der Einwohnerzahl der größeren Städte (um 64% bis 1943, in der Ukraine dagegen um 55%; S. 422) - explizite Vernichtungsaktionen und vor allem der Mord an den weißrussischen Juden reichen als Erklärung hierfür allein nicht aus. Mangel, Hunger und gezielte Umsiedlungen taten ein übriges. Entscheidend ist, daß es sich hier ebenso wie in Fragen der Ernährung um eine bewußte Bevölkerungspolitik handelte, man plante niedrige Einwohnerzahlen zur Erwirtschaftung von Nahrungsüberschüssen, und man realisierte sie auch. Die Arbeitskräftepolitik folgte einem Spannungsbogen von anfänglichem Desinteresse gerade am städtischen Arbeitskräftepotential und hoher Arbeitslosigkeit über die gezielte Arbeitskräftebeschaffung unter der Stadtbevölkerung bis hin zur Auskämmung der ländlichen Regionen und den Versuchen, auch während des Rückzuges unter den Evakuierten noch die letzte Arbeitskraft zu mobilisieren - immer mit dem Ziel, das meistmögliche an Produktion und Ressourcen aus dem Besatzungsgebiet herauszuholen. Ab 1942 gewann daneben die Verschleppung von Zivilarbeitern zum Arbeitseinsatz im Reich an Bedeutung, und zwar aus den gesamten besetzten Gebieten der Sowjetunion. Aus Weißrußland wurden nach Gerlachs Berechnungen etwa 386.000 Menschen nach Deutschland gebracht (S. 462).
Die deutsche Vernichtungspolitik hingegen wird beschrieben anhand der Ermordung der weißrussischen Juden, aber auch der sowjetischen Kriegsgefangenen in Weißrußland und anhand der immer brutaleren 'Partisanenbekämpfung'. Aufbauend auf seiner These vom Primat der deutschen Ernährungsinteressen betont Gerlach die Planmäßigkeit des Hungertodes von annähernd 700.000 Kriegsgefangenen in den Gefangenenlagern und setzt ihn gleichzeitig in Bezug zur Herausbildung des konkreten Massenmordprogramms an den sowjetischen Juden in den Monaten von September bis November 1941... (aus der Rezension von Isabel Heinemann, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Historisches Seminar Universität Freiburg)
* Bei Frieser dagegen: Kaum ein Wort wird über die Rückzugsverbrechen der Wehrmacht und ihren Kontext verloren. Die millionenhafte Vertreibung, Zwangsevakuierung und Aushungerung der sowjetischen Zivilbevölkerung und die planmäßige Verwüstung ganzer Regionen bleibt außerhalb des von ihm gezeichneten Bildes. Nur Wegner skizziert einige Grundlinien (S. 256-268). Frieser charakterisiert die deutsche Wehrmacht als professionell geführte Truppe, die schließlich nicht nur der Roten Armee, sondern vor allem Hitler zum Opfer gefallen sei. Er bezeichnet diese Situation gar als Zweifrontenkrieg (S. 565). Frieser schreibt fast ausschließlich aus der Nachkriegsperspektive deutscher Generäle, insbesondere des von ihm offensichtlich hoch verehrten Erich von Mansteins. Ihrer militärischen ‚Vernunft‘ wird immer wieder der ‚irrationale‘ Hitler gegenüber gestellt...., - so die Rezension für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von Christoph Dieckmann!!
Vgl. Achtzehnter Teil einer unregelmäßigen Serie aus Anlaß des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor siebzig Jahren.
Von Erich Später, KONKRET 6/2014
Gleichermaßen widerlich: Leute wie Oberst Freezer, die zweiten Karrieren und Thomas Schmid/Stefan Austs WELT.
Intensiv wie kein Historiker sonst hat der inzwischen pensionierte Oberst Karl-Heinz Frieser, ehemals Abteilungsleiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, den Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte erforscht. Der von ihm herausgegebene achte Band des Standardwerkes "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" über die Ostfront 1943/44 umfasst mehr als 1300 Seiten.*
Ja, so denken sie und leiten Abteilungen im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr!! Lauter schlimme Niederlagen der deutschen Geschichte: die Befreiung Leningrads, die Befreiung Kiews, die Befreiung der Krim und Befreiung Weißusslands und wahrscheinlich auch die Befreiung von Ausschwitz durch die Rote Armee. (Zuweilen scheint es mir fast nötig zu sein, darauf hinzuweisen: Es war nicht die Bundeswehr, die Auschwitz befreit hat!)
Und als Überschrift setzt die WELT noch einen drauf: Warum Stalin den Krieg 1944 nicht beendete ... Fuck me running: In derLogik solcher Leute müsste die Frage eigentlich lauten: Warum wurde Reinhard Gehlen, Chef der deutschen Aufklärungsabteilung Fremde Heere Ost (FHO), die vor dem 22. Juni die komplette sowjetische 6. Garde-Armee im Bereich der 1. Baltischen Front übersehen hatte, wodurch die Führungsebene der Heeresgruppe Mitte diesen Bereich als nicht gefährdet ansah, nicht sofort hingerichtet? Wahrscheinlich, damit er etwas später die SS-Schattenarmeen begleiten und den BND aufbauen konnte, der jetzt ja etwas in Verruf geraten ist als "Wurmfortsatz der NSA". Ich sach mal: Pannen gibt es immer ...
Empfohlen dagegen:
- Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1998 (Link = Leseprobe; rezensiert hier)
- Yehuda Bauer: Der Tod des Schtetls. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2013
Maly Trostenets, Minsk, Belorussia, Corpses of Soviets who were murdered in the death camp during the years 1941-1944.
Gerlach bilanziert einen dramatischen Rückgang der Einwohnerzahl der größeren Städte (um 64% bis 1943, in der Ukraine dagegen um 55%; S. 422) - explizite Vernichtungsaktionen und vor allem der Mord an den weißrussischen Juden reichen als Erklärung hierfür allein nicht aus. Mangel, Hunger und gezielte Umsiedlungen taten ein übriges. Entscheidend ist, daß es sich hier ebenso wie in Fragen der Ernährung um eine bewußte Bevölkerungspolitik handelte, man plante niedrige Einwohnerzahlen zur Erwirtschaftung von Nahrungsüberschüssen, und man realisierte sie auch. Die Arbeitskräftepolitik folgte einem Spannungsbogen von anfänglichem Desinteresse gerade am städtischen Arbeitskräftepotential und hoher Arbeitslosigkeit über die gezielte Arbeitskräftebeschaffung unter der Stadtbevölkerung bis hin zur Auskämmung der ländlichen Regionen und den Versuchen, auch während des Rückzuges unter den Evakuierten noch die letzte Arbeitskraft zu mobilisieren - immer mit dem Ziel, das meistmögliche an Produktion und Ressourcen aus dem Besatzungsgebiet herauszuholen. Ab 1942 gewann daneben die Verschleppung von Zivilarbeitern zum Arbeitseinsatz im Reich an Bedeutung, und zwar aus den gesamten besetzten Gebieten der Sowjetunion. Aus Weißrußland wurden nach Gerlachs Berechnungen etwa 386.000 Menschen nach Deutschland gebracht (S. 462).
Die deutsche Vernichtungspolitik hingegen wird beschrieben anhand der Ermordung der weißrussischen Juden, aber auch der sowjetischen Kriegsgefangenen in Weißrußland und anhand der immer brutaleren 'Partisanenbekämpfung'. Aufbauend auf seiner These vom Primat der deutschen Ernährungsinteressen betont Gerlach die Planmäßigkeit des Hungertodes von annähernd 700.000 Kriegsgefangenen in den Gefangenenlagern und setzt ihn gleichzeitig in Bezug zur Herausbildung des konkreten Massenmordprogramms an den sowjetischen Juden in den Monaten von September bis November 1941... (aus der Rezension von Isabel Heinemann, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Historisches Seminar Universität Freiburg)
* Bei Frieser dagegen: Kaum ein Wort wird über die Rückzugsverbrechen der Wehrmacht und ihren Kontext verloren. Die millionenhafte Vertreibung, Zwangsevakuierung und Aushungerung der sowjetischen Zivilbevölkerung und die planmäßige Verwüstung ganzer Regionen bleibt außerhalb des von ihm gezeichneten Bildes. Nur Wegner skizziert einige Grundlinien (S. 256-268). Frieser charakterisiert die deutsche Wehrmacht als professionell geführte Truppe, die schließlich nicht nur der Roten Armee, sondern vor allem Hitler zum Opfer gefallen sei. Er bezeichnet diese Situation gar als Zweifrontenkrieg (S. 565). Frieser schreibt fast ausschließlich aus der Nachkriegsperspektive deutscher Generäle, insbesondere des von ihm offensichtlich hoch verehrten Erich von Mansteins. Ihrer militärischen ‚Vernunft‘ wird immer wieder der ‚irrationale‘ Hitler gegenüber gestellt...., - so die Rezension für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei H-Soz-u-Kult von Christoph Dieckmann!!
Vgl. Achtzehnter Teil einer unregelmäßigen Serie aus Anlaß des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor siebzig Jahren.
Von Erich Später, KONKRET 6/2014
Gleichermaßen widerlich: Leute wie Oberst Freezer, die zweiten Karrieren und Thomas Schmid/Stefan Austs WELT.
gebattmer - 2014/07/06 16:22
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