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Der Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen wäre ein zivilisatorisches Verbrechen. Wenn sich ein solcher Einsatz bestätigen sollte, muss die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denjenigen gehören, die Konsequenzen für richtig halten. Hierzu stehen wir in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen und unseren Verbündeten."
So der Außenminister der BR Deutschland am 26. d.M.
Was ist Bedeutung von dieses?
Abgesehen von der merkwürdigen Unbestimmtheit des ersten Satzes, die sich aus der Verbindung von bestimmtem Artikel und Konjunktiv II ergibt (
Der Einsatz verlangt den Indikativ
ist; es sei denn, man möchte den Alliierten signalisieren, dass man ihnen folgen will, was die Annahme,
der Einsatz habe sich ereignet, angeht, aber eigentlich doch nicht so richtig, sonst bräuchte man ja den Konjunktiv II nicht ... Kohärent wären mE Aussagen wie
Der Einsatz ... ist oder
Ein Einsatz ... wäre ... Verstörender ist aber die Verbindung des Adjektivs
zivilisatorisch mit dem doch eindeutig definierten Substantiv
Verbrechen:
zivilisatorisch
zi|vi|li|sa|to|risch 〈 Adj.〉 zur Zivilisation gehörend, sie fördernd
zi|vi|li|sa|to|risch :
die ↑ Zivilisation (1 a) betreffend, auf ihr beruhend:
-e Schäden;
z. überlegen sein.
[Universal-Lexikon. 2012]
zivilisatorisch
zi|vi|li|sa|to|risch [tsiviliza'toːrɪʃ]
1. adj
of civilization
2. adv
in terms of civilization
zi·vi·li·sa·to·risch
[tsivilizaˈto:rɪʃ]
I. adj of civilization, with regard to civilization
II. adv in terms of [or with regard to] civilization
zivilisatorisch adj attr civilizing, nachgestellt: of civilization
[German-english dictionary. 2013]
Das bringt uns nicht recht weiter. Wohl findet sich das Adjektiv auch einmal in schlechter Gesellschaft (s. o.
zivilisatorische Schäden, wenn z.B. unterschieden wird zwischen natürlicher und zivilisatorischer, i.S. von
zivilisationsbedingter Strahlenbelastung mit der Folge von Gewebe-, Organ-, Organismus-Schäden), aber wir nehmen nicht an, dass der Außenminister den Einsatz von Giftgas als
zivilisationsbedingtes Verbrechen bezeichnen wollte (- obwohl er damit
der Sache wohl recht nahe gekommen wäre!).
Vermutlich ergeht es hier dem Adjektiv
zvilisatorisch wie dem mehrfach vergewaltigten
humanitär, das seit 1999 mit der
Katastrophe kopulieren muss:
Will also Westerwelle resp. sein redenschreibender
spin doctor mit der Kreation des
zivilisatorischen Verbrechens Scharping-Schröder-Fischer-mäßig Newspeak zur Einstimmung auf Was-auch-Immer erproben? -
Vermutlich nicht mal das: Man erkennt in Sätzen wie diesen die Impulsgeste. Es sind Sätze, die keineswegs nichts sagen. Sie sagen: „Nichts“. Wir werden aufhören zu sprechen, Diskurse und Debatten waren gestern, Sätze mit Aussagen: Pffffft! Die Redegeste ist nicht anders als eine Selbstermächtigung. Wenn es nach der FDP geht, braucht Macht keinen Sinn und kein Ziel mehr. Man redet einfach irgendwas. Und erklärt damit, dass es in der Postdemokratie zwischen den Regierenden und den Regierten wahrhaft nichts zu sagen gibt. Seeßlen
Auch weitere Recherche bringt keine Klärung. Hier eine Auswahl aus den Beispielsätzen, die bei
myDict zu finden sind:
Das Phänomen Krieg als unfasslicher Dammbruch zivilisatorisch mühsam gebremste Instinkte.( Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 02.09.2002)
Das UN-System bildet jedoch - bei allen Unzulänglichkeiten - die zentrale zivilisatorische Errungenschaft im Dienste der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, eine Grundvoraussetzung der Eindämmung von Gewalt im internationalen System.( Quelle: Frankfurter Rundschau vom 06.02.2004)
Die Nürnberger Prozesse gleichsam als Brücke zu Den Haag und einem Internationalen Gerichtshof: Sie waren 'zivilisatorische Intervention mit zivilisierender Wirkung, obgleich es keine Folgepraxis gegeben hat', so Reemtsma.( Quelle: Süddeutsche Zeitung 1996)
Und in den Rechtsstaaten galt längst unbestritten das, was man das "zivilisatorische Minimum" nennt.( Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 19.10.2005)
Der zivilisatorisch befriedete Mensch hat seine unfriedlichen Sehnsüchte behalten. (Quelle: Die Zeit 2000)
Dann kennen wir noch das
„zivilisatorische Hexagon“ von Dieter Senghaas, das Bausteine für eine stabile, friedliche Gesellschaft benennt. Ein solches Modell der Friedenssicherung wird als Zivilisierungsprojekt angesehen, darf also wohl zivilisatorisch genannt werden.

[Werkzeuge der Selbstbefreiung: Das Denken von Dieter Senghaas [eine einführende Textauswahl bei
selbstbefreienlernen]
Auch das kann der Außenminister nicht gemeint haben, so dass wir zunächst ratlos zurückbleiben und ihm bzw. seinem spin doctor den alten Raabe empfehlen:
Die Klausur und die moralische und physische Diät, welche er unter dem Regime des Vetters Wassertreter einzuhalten hatte, schienen bis jetzt trefflich bei ihm anzuschlagen und von großem zivilisatorischem Einfluss auf ihn zu sein.
(Wilhelm Raabe - Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge/ 12. Kapitel*)
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Vorwort zur ersten Auflage
Indem ich dieses nicht in einem lustigen Sommer entstandene Buch in die Hände der Leser gebe und es ihrem guten Herzen anbefehle, drängt es mich, eine gute Gewohnheit scheuerer Zeiten und schämigerer Autoren wachzurufen und mich strengstens gegen alle Mißdeutungen zu verwahren. Ich bitte ganz gehorsamst, weder den Ort Abu Telfan noch das Tumurkieland auf der Karte von Afrika zu suchen; und was das Mondgebirge anbetrifft, so weiß ein jeder ebensogut als ich, daß die Entdecker durchaus noch nicht einig sind, ob sie dasselbe wirklich entdeckt haben. Einige wollen an der Stelle, wo ältere Geographen es notierten, einen großen Sumpf, andere eine ausgedehnte Salzwüste und wieder andere nur einen unbedeutenden Hügelzug gefunden haben, welches alles keineswegs hindert, daß ich für meinen Teil unbedingt an es glaube. –
Handlung
Der 27-jährige Leonhard Hagebucher war an der Universität Leipzig eingeschrieben, lief jedoch von zuhause fort und ging nach Ägypten, wo er beim Durchgraben der Landenge von Suez helfen wollte. Von Chartum aus ins Landesinnere vordringend geriet er 1848 in die Gewalt der Baggara, eines nomadisch lebenden Volkes von Viehhirten. Von denen wurde er nach Abu Telfan, eine Stadt in Dar-Fur, in die Sklaverei verkauft. Nach elf Jahren der Erniedrigung wurde er schließlich von einem Tierhändler namens Kornelius van der Mook freigekauft.
1860 kehrt Leonhard in seinen Heimatort Bumsdorf, nahe dem Städtchen Nippenburg in einem nicht benannten Zwergstaat, zurück. Sein Vater, der pensionierte Steuerinspektor Hagebucher, hatte ihn bis dahin für tot gehalten. Die spießbürgerlichen Bewohner seines Dorfes waren davon ausgegangen, dass er vermutlich im Dienst des Vizekönigs von Ägypten Muhammad Ali gegen die Nubier gefallen sei. Da Leonhard aber weder „an der Front gefallen“ ist, noch einen „Märtyrertod“ erlitten hatte, sondern als „Vagabond“ heimkehrt, zeigt sich der Familienrat unerfreut, ihn wiederzusehen. Von den Leuten wird er künftig als „afrikanischer Fremdling“ bezeichnet. Als die Nippenburger Spießbürger Leonhard schließlich für einen Lump erklären, wird er von seinem Vater vor die Tür gesetzt. Leonhard sieht sich gezwungen, wieder ein nützliches Mitglied des Gemeinwesens zu werden, um Anerkennung zu erhalten....
Das passt doch!