Der Text von Daniele Muscionico (NZZ / 16.8.2017) passt zum Artikel bzw. zur Fotostrecke (der NZZ) oben.
... Fotografische Bilder sind ein Massenphänomen geworden. Ihr Vorkommen lässt sich längst nicht mehr numerisch beziffern, es hat die Form von weissem Rauschen. Und Millionen Bilder kommen täglich dazu. Allein auf Instagram sollen zwischen 2010 und 2016 rund 40 Milliarden Bilder veröffentlicht worden sein. Und diese Zahl nimmt täglich um 95 Millionen zu. Statistiken gehen davon aus, dass über soziale Netzwerke und Apps wie Facebook, Instagram und Snapchat jedes Jahr Bilder im zweistelligen Milliardenbereich verbreitet werden. Ein Akt, der mithin Persönlichkeits- und Urheberrechte ausser Kraft setzt...
Deshalb ist die folgende Feststellung auch kein kulturpessimistisches Klagelied, sondern im Gegenteil eine Art Tröstung: Unsere manische, unsere visuelle Weltaneignung durch das Smartphone endet in den allermeisten Fällen in einem digitalen Massengrab. Die Zahl der Bilder, die in internen Speichern oder auf Festplatten lagern und – durch unser Auge erst «belichtet» – nie das Licht der Welt erblicken werden, ist nach Schätzungen weit erheblicher als die Anzahl jener Fotos, die in irgendeiner Form öffentlich werden.
Wir sind zwar visuelle Analphabeten, obwohl Zeitgenossen eines visuellen Zeitalters, doch eines immerhin hat sich als Erkenntnis durchgesetzt: Die Fotografie bildet nicht ein Ereignis ab, sondern sie kreiert es mithin durch die pure Existenz eines Bildes davon. Und ob ein Bild ein Original ist oder computergeneriert, also manipuliert, lässt sich für den Laien kaum unterscheiden...
Und jetzt wird es spannend:
... Wer kennt nicht Robert Capas Bild des gestrandeten amerikanischen Soldaten, der sich in der Brandung des Atlantiks schwach vor dem Hintergrund eines zerschossenen Landungsfahrzeuges abhebt. Die Foto wurde am 19. Juli 1944 erstmalig im «Life Magazine» veröffentlicht. Die immense Erregung des Augenblicks, die physische Erfahrung des Beteiligten – die Landung am Strand stagnierte im Abwehrfeuer – schienen für den Betrachter durch die Unschärfe und ästhetische Anmutung mit Händen zu greifen.
Erst Jahrzehnte später, zum 50. Jahrestag der Invasion, liefert die «New York Times» ihrer Leserschaft die ernüchternde Erklärung. Das durch Unschärfe authentisch scheinende Bild hatte seine «Glaubwürdigkeit» nicht in der Hand eines todesmutigen Fotografen erhalten, sondern durch falsche Nachbearbeitung im Fotolabor.
Ein Laborassistent hatte Capas Negative während des Trocknens überhitzt, und so überlagerten Hitzeblasen, Spuren geschmolzener Emulsion, das Bild flächendeckend. Mit paradoxem Effekt: Die bemerkenswerte Bildästhetik nobilitierte die Aufnahme zur Ikone der fotografischen Moderne und eines visuellen pazifistischen Aktes.
Die Fotografie ist tot, und das fotografische Bild, ob analog, ob digital, ist ein leerer Spiegel geworden. Wer in ihn blickt, blickt auf sich selber zurück. Als Roland Barthes in seiner letzten Veröffentlichung «Die helle Kammer» im Jahre 1980 den Ursprung des Mediums definierte, wusste er wohl nicht, wie visionär er damit war. Barthes erläuterte nämlich, nicht die Maler, wie hinlänglich behauptet, hätten die Fotografie erfunden – indem sie den Ausschnitt, die Zentralperspektive und die Optik der Camara obscura auf diese übertrugen. «Ich hingegen sage: Nein, es waren die Chemiker!» Mit Blick auf Capas Bild des amerikanischen Soldaten behielt er doppelt recht...
Das finde ich zu kurz gesprungen: Es geht doch nicht um die Frage, wer die Fotografie erfunden hat (wiewohl das eine interessante Frage ist), sondern um die Haltung, die die Bildästhetik entfaltet:
Archäologie (CCCXLIII): Der Kampf um die Freiheit - Sechs Freunde und ihre Mission: "Haltung"
It is the story of six extraordinary Hungarians who grew up in Budapest, Hungary during the waning days of the Austro-Hungarian Empire. All were gifted and determined to succeed : Leo Szilard, Eugene Paul Wigner, Edward Teller, Janos Lajos Neumann Margittai (John von Neumann), Endre Erno Friedmann (Robert Capa) and Mihaly Kertesz Kaminer (Michael Curtiz).
Photographer Robert Capa during the Spanish civil war, May 1937. Photo by Gerda Taro. Public Domain: Gerda Taro died in 1937.