Der Schriftsteller Peter Glaser (der seinerzeit - 2002 - in Klagenfurt mit dem wunderbaren Text "
" reüssierte, in dem sich so gr0ßartige Sätze finden wie dieser: "Das Universum ist wie Liz Taylor.") rezensiert
regelmäßig zweifelhafte Produkte. Im jüngsten Verriss finden sich kluge Anmerkungen zum ökonomischen Sinn des Individualiserungswahns:
Heute gibt es den Bihänder unter den Verrissen: zwei Produkte – ein und derselbe falsche Gedanke.
My Room II
von Yamaha sieht auf den ersten Blick aus wie Werkzeughüttchen
für den Garten, ist allerdings für das Wohnzimmer gedacht und
auch da nicht für Werkzeug: der holzverkleidete Würfel mit
zwei Metern Seitenlänge kostet 700.000 Yen (etwa 5.300 Euro),
verfügt über eine eigene Klimaanlage, ist fensterlos und hat
aber immerhin einen schmalen Glasstreifen in der Tür. Laut
Hersteller eignet sich das Mikrozimmer, das man in seinen eigentlichen
Wohnraum stellen kann, ideal für Dinge, die man im großen
Zimmer nicht tun würde – etwa Karaokesingen, studieren, laut
fernsehen und so weiter. Mich erinnert das ganze eher an einen
Grabkammernsimulator, bestenfalls an eine Trainingseinrichtung für
jemanden, der vorhat, sein Leben in den Legebatterien von
Großraumbüros zu verbringen. Auch wenn in japanischen
Ballungsräumen, vor allem im Großraum Tokio, Wohnraum extrem
knapp beziehungsweise teuer ist, bin ich sicher, dass das Geld besser
angelegt wäre, wenn man sich damit ein paar Rendezvous oder
Verabredungen mit potenziellen Freunden gönnt, die einem
später sein kleines Wohnzimmer lebenswerter machen können
(oder man lädt seine Nachbarn ein, die sich dann bestimmt nur noch
zurückhaltend beschweren, wenn man wieder einen
Elvis-Nachsing-Koller kriegt).
Das deutsche Pendant dieser Art von Innenarchitektur für Klaustrophobie-Aficionados ist das Inhouse-Zelt Piilo des Industriedesigners Markus Michalsky,
das als "private, insgeheime Rückzugsmöglichkeit" gedacht
ist. Der futuristische, faltbare Jalousie-Kokon soll "Gefühle der
Zugehörigkeit und Sinnlichkeit" hervorrufen. In sowas
reinzukriechen, wird aber eher an jene Gefühle anknüpfen, die
einen als Kind anwandelten, nachdem man sich ein Zelt aus Decken gebaut
hatte – nach kürzester Zeit wurde man darin von Langeweile
und der drängenden Frage "Und was jetzt?" überfallen.
Die fortschreitende Individualisierung, von der der Nachkriegszeit
an vor allem aus wirtschaftlichen Interessen betrieben, schuf immer
kleinere gesellschaftliche Einheiten. Aus der Großfamilie
schnürten sich Kleinfamilien ab, die ihr eigenes Haus und Auto und
Zeug besitzen wollten. Danach der einzellebende Mensch, ob in einem
Wohngemeinschaftszimmer oder als waschechter Single, dem man neuerlich
jeweils eine Haushaltsgrundausstattung undsoweiter verkaufen konnte.
Danach wurde es schwierig. Wie kann man das Individuum weiter
atomisieren, um ihm wieder neue Dinge anzubieten? Zwar konnte man dem
linken Arm nicht etwas anderes verkaufen wie dem rechten, aber man mit
verschiedenen Identifikationsmustern funktionierte es. So ließen
sich aus einem konsumierenden Subjekt virtuell mehrere machen –
was zudem nicht mehr als Verkleinerung der Gemeinschaftlichkeit
empfunden wurde.
Es gibt durchaus Vereinzelungsbedürfnisse, die man mit einer
gewissen Toleranz für andere Kulturformen als zwar sonderbare,
aber pragmatische Lösungen ansehen kann, etwa die Ein-Personen-Sauna für prüde Amerikaner oder verschämte Briten, öffentliche Glaskäfige für Raucher oder für notorisch nichtöffentliche Menschen wie etwa Geheimdienstler etwas wie den extrem abhörsicheren WhisperRoom.
Andere Verkleinerungsformen stießen an biologische Grenzen.
Mit der seit den siebziger Jahren rapide zunehmenden Miniaturisierung
wurde ein übermütiger Konstrukteursgeist geweckt, der
Armbanduhren mit eingebauten Superwinztastaturen hervorbrachte –
die sich allerdings von keinem Finger mehr bedienen ließen, weil
sie einfach zu klein waren. In einem jahrzehntelangen Hinundher wurden
Gebrauchsgegenstände oder ihre Bedienelemente kleiner (downsizing)
und wieder größer (rightsizing), während der
menschliche Körper sich als Maß aller Dinge
verhältnismäßig veränderungsresistent zeigte
(außer durch veränderte Konfektionsgrößen infolge
kollektiver Überernährung).

Hart an der Grenze zum Zynismus sind Kunstprojekte wie das von Michael Rakowitz mit dem Namen ParaSITE,
im Zuge dessen er aufblasbare Großstadt-Biwaks für
Obdachlose entwickelt. Die ParaSITE-Zelte nutzen die Abwärme von
Gebäuden, um sich aufzublasen und die Wärme zu speichern. Die
Verkleinerungstendenz beim persönlichen Lebensraum
stößt schnell auf konservative Barrieren. Freiwillig
einpferchen lässt sich der wie alle Lebewesen äußerst
auf sein Revier bedachte Mensch nur zeitweise (Dusche, Toilette), bei
spezieller Veranlagung auch etwas länger (U-Boot-Matrose,
Kampfjägerpilot, Astronaut) oder wenn ihm besonderes
Vergnügen verheißen wird (Samadhi-Tank).
Den schaurigen Kern von My Room II und des Piilo-Kokons legte der australische Künstler Adam Norton frei. Seine Generic Escape Capsule
ist ein modifizierter Kleiderschrank, in dem ein Mensch nur noch auf
eine Weise existieren kann, die, wenn sie einem Kriegsgefangenen
zugemutet würde, die Vereinten Nationen in Gang setzen würde.